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ABGESANG: Kloß auf tönernen Füßen

Das Hans Otto Theater brachte Ulrich Zaums „Himmelsleiter“ in der Russenhalle zur Uraufführung

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ABGESANGDas Hans Otto Theater brachte Ulrich Zaums „Himmelsleiter“ in der Russenhalle zur Uraufführung Die Sache der Arbeiterklasse ist nicht nur eine gerechte, sie scheint auch ewig zu sein. Sollte trotzdem mal was schief gehen, sind unfähige Häuptlinge schuld, wie praktisch. Schlimmstenfalls verweist man die „reine Lehre“ ins Reich der Utopien, da kann ihr nun keiner mehr ’was. Mit diesem Denkansatz präsentierte sich am bitterkalten Sonntag das Projekt „Himmelsleiter“ von Ulrich Zaum als jüngste HOT-Produktion. Seit dem Amtsantritt von Uwe Eric Laufenberg sucht man solche Utopien mit Fleiß, ziemlich einseitig , denn außer der geratenen oder ungeratenen Lehre der Arbeiterklasse, welche immer nur Sache von Intellektuellen war, fällt dem Theater offenbar nichts ein. Schon das seltsame Murmeln in den Utopie-Gesprächsrunden in der Arnim-Villa wies darauf hin. Keiner fragt Platon oder den Morus. Voila! begebe man sich nun ins Reich dieses „interaktiven Essays“, in die gewaltige Russenhalle, in die plakative Bilderwelt des 1954 geborenen Autors und ins Mordsgetöse einer Regie (Tobias Sosinka), welche fast vier Stunden an einem szenischen Popanz bastelte, etwas zwischen „Hermannsschlacht“ und „Krieg und Frieden“ aus dem Hause Laufenberg.. Statt eines ästhetischen Originals gebar sie einen monströsen Bastard auf tönernen Füßen. In der Reithalle A sammelte man das Premierenpublikum. Hier wurde es per Video (Fachhochschule Potsdam) mit der „Revolution rückwärts“ konfrontiert, einer Zeitschau von 1990 bis 1919 im Eilmarsch, wobei man kein Datum ausließ, welches im „historischen Diskurs“ nicht längst in aller Munde wäre. Dann ging der Pulk, von russischen Uniformen geschützt, unter dröhnenden Verzerrungen des Mozartschen „Requiem“ durchs Gelände, feierte den „Djen Pobjedöi“ (Tag des Sieges), sah einen Russen auf leerer Bühne singen, erlebte eine Open-air-Szene vom Ersten Weltkrieg, Desertation und Erschießung. Nun wusste man, was in der Russenhalle wartet, eine Bebilderung von Geschichte in solcher Ästhetik. Und tatsächlich, drinnen fuhr eine junge Frau (Grete) mit dem Rad um den langen Steg, welcher „Bahndamm Potsdam 1919“ genauso war wie die Redaktionsstube in Ullsteins Zeitungsverlag, Paris im zweiten Kriege oder ein Lager im eisigen Sibirien. Kurze Spots mit langen Gängen schienen den Irrweg der Potsdamer Kommunistin Margarete Buber-Neumann (Jennipher Antoni) verfolgen zu wollen. Aber daraus wurde nichts. Eine ungeheure Personage aus Rechten und Linken, Bürgerlichen und Proletariern, Leuten vom Freikorps, Damen und Herren dünnte die angekündigte Tragödie der Buber-Neumann bis zur Unkenntlichkeit aus. Russen mit Uniformen und MPi’s, doch außerhalb ihrer ward nirgends ein „Feindbild“ gesichtet. „Himmelsleiter“ ventiliert eigentlich nur die Frage, ob Leute wie Münzenberg, Neumann oder Katz (wer kennt die schon?) im Recht seien, oder der Unhold und „Volksverräter“ Stalin. Kein Wort davon, dass auch Lenin in diese Ahnenreihe gehört, und überhaupt, vernahm man vorab, sei diese Utopie nur gescheitert, weil sie sich mit Blut befleckte. Meine Güte, dann müsste man ja die Gründer der USA und des neuen Frankreich auch dazu zählen! Lob dem Ensemble. Es hat mit präzisem Spiel und großem Einsatz mehr geleistet, als dieses verbogene Konstrukt verdiente. Vor allem Jennipher Antoni gab ihre Rolle geradezu exzessiv, doch Figuren wie Maienberg (Roland Kuchenbuch, toll), Gustav Reiser (Moritz Führmann) und andere stahlen ihr wohl die Schau. Die Regie schreckte weder davor zurück, gehörig Staub aufzuwirbeln noch einen Russen-LKW in die Halle zu fahren. Aus seinem Hinterteil zog Grete am Schluss mit den Zähnen ein rotes Banner hervor, worin sie sich raumgreifend verhedderte. „Bildersprache“ pur, Metapher! Oh! Als Genossen der Roten Armee gestalteten Gabriele Näther, Marion Kaune und Helmut G. Fritzsch diesen endlosen Abend mit ihren Stimmen, sogar den alten Bach bemühend: „Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine“. Christian Deichstetter begleitete nicht nur am Klavier, ausgerechnet er hatte als Offizier Stalins einen geigenden Deutschen zu erschießen. Peinlicher Akt. Für alles, was klang oder dröhnte, trägt Serge Weber Verantwortung,. In summa linkes Gezänk, utopisch getarnt. Ulrich Zaum scheint einfach Utopie mit Ideologie verwechselt zu haben, Parteienstreit mit Jahrhundertgeschichte. Sosinkas bunter Bilderbogen folgt ihm mit größtem Aufwand ganz unkritisch nach. Rot Front, Kollegen, auch wenn solche Leitern nie in einen Himmel führen. Gerold Paul Mit einer „Trauerprozession“, angeführt vom uniformierten Christian Deichstedter, wurden die Zuschauer zur Russenhalle geleitet. Dort wurden sie im Schirrhof Zeuge einer theatralen Erschießung. In grauen Decken eingehüllt, ging es dann weiter mit einem über dreistündigen Abgesang auf den Kommunismus. Die „Himmelsleiter“ konnte nicht erklommen werden. Fotos: M. Thomas

Gerold Paul

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