Kultur: Kollektives Gruseln im Waschhaus Simon Beckett las im Waschhaus
Eine junge Familie sitzt am Küchentisch und frühstückt. Die fünfjährige Tochter stochert verträumt mit ihrem Löffel im Joghurt herum und lauscht dem Gespräch ihrer Eltern.
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Eine junge Familie sitzt am Küchentisch und frühstückt. Die fünfjährige Tochter stochert verträumt mit ihrem Löffel im Joghurt herum und lauscht dem Gespräch ihrer Eltern. Eine idyllische Szene. Bis die Tochter fragt: „Papa, was ist ein Opfer?“. Papa antwortet: „Ach, das gehört zu meinem Job.“ Denn David Hunter ist forensischer Anthropologe. Seine Arbeit besteht darin, grausige Morde aufzudecken. Mehr verrät er seiner Tochter nicht, küsst sie und seine Frau auf die Stirn und begibt sich an seinen Arbeitsplatz, einem Tatort.
Der britische Autor Simon Beckett las am Mittwoch diese Szene aus seinem neuen Roman „Verwesung“ im Waschhaus: Wieder soll Hunter eine Leiche identifizieren, die, wie sich herausstellt, Opfer des Vierfachmörders Jerome Monk geworden ist. Als Monk acht Jahre später aus dem Gefängnis ausbricht, die Mordlust des monströsen Mannes von Neuem beginnt, ist auch David Hunter in Gefahr.
Beckett, seit seinem Erfolg von „Die Chemie des Todes“ einer der Top-Krimiautoren, startete im Waschhaus seine kurze Lesereise durch Deutschland. Nur wenige Autoren schaffen es, mit ihren Büchern ganze Hallen zu füllen. So war auch das Waschhaus voller Wagemutiger, die sich im Kollektiv gruseln wollten und mit „Verwesung“ in den mittlerweile vierten Roman um den forensischen Ermittler David Hunter eintauchten.
Simon Beckett und der Schauspieler Michael Schrodt vom Hans Otto Theater betraten wortlos die Bühne. Keine Begrüßung, nur ein kurzes Nicken. Sogleich begann Beckett mit angenehm ruhiger und klarer Stimme zu lesen, in seinem charmanten britischen Akzent. Dann wurde von Schrodt die deutsche Übersetzung vorgetragen. Sogleich klang alles viel strenger. Im Gegensatz zum Englischen, in dem jedes Wort mit dem darauf folgenden verschmilzt, ist die deutsche Sprache härter, abgehackter. Dadurch entstand eine komplett andere Wirkung, kam dem Gesagten eine ernstere Bedeutung zu. Schrodt schaute öfter ins Publikum, variierte in Betonung und Lautstärke und machte ein kleines Hörspiel aus Becketts Text. Trotz der schweren Thematik hat Beckett eine charakteristisch ironische und humoristische Schreibweise. Und während Michael Schrodt las, saß Beckett mit verschränkten Armen und geradem Rücken am Tisch. Mal blickte er zu Schrodt, dann zum Publikum, als überprüfe er die Wirkung seines Textes. Und als das Publikum lachte, schmunzelte auch Beckett zufrieden. Die detailgenauen Beschreibungen der Leichen und das beschriebene nebelig graue Wetter sorgen indes für die nötige Gänsehaut.
Das Gespräch im Anschluss an die Lesung war dann eher etwas zäh. Interessant wurde es, als Beckett erzählte, wie er einen Artikel über eine amerikanische „Body Farm“, einem forensischen Forschungszentrum unter freiem Himmel, in dem verschiedene Stadien der Verwesung an menschlichen Leichen beobachtet werden, verfassen sollte. Dieser Besuch war die Geburtstunde von Becketts Erfolgsfigur mit Namen David Hunter. Josefine Schummeck
Josefine Schummeck
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