Kultur: Komisch
„Die fromme Helene“ im Nikolaisaal
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„Oh, welch ein Graus – wie schnell ist doch das Leben aus“, heißt es in der „Frommen Helene“ von Wilhelm Busch. Er musste es wissen. Ihm genügten schon ein paar Federstriche und Verse, um seine Figuren abzumurksen. Dass die Comics von Wilhelm Busch zu den beliebtesten Büchern sogar in deutschen Kinderzimmern wurden, mag manch einen heute erstaunen.
Weniger erstaunlich ist, dass Bernd Alois Zimmermann, der düster-tragische Komponist der Moderne, von der „Frommen Helene“ zu einem „Rondo populare“ inspiriert wurde. Zu seiner eher pessimistischen Lebenseinstellung passten die spitzbübischen Streiche und bösen Satiren von Wilhelm Busch wohl ganz gut. Das Persius-Ensemble führte jetzt Zimmermanns musikalisch-parodistische Miniaturen für kleines Ensemble im Nikolaisaal mit viel Gespür für die Burleske auf. Gisela May, die Grande Dame des Brecht-Theaters, illuminierte dazu Wilhelm Buschs flink-frechen Verse mit allen Nuancen der Sprechkunst. Sie las mit verteilten Rollen, genoss Komik und Hintersinn mit so viel Spaß, dass man ihr das Alter von 83 Jahren nicht abnehmen wollte.
Allein vier Todesfälle finden sich in der „Frommen Helene“, abgesehen von zahlreichen Quälereien an Menschen und Tieren. Der Historiker Golo Mann erklärte den anhaltenden Erfolg von Wilhelm Busch so: „Die Leute genossen die Werke des nur scheinbar heiteren, unergründlich boshaften, menschenfeindlichen Humoristen mit nie versagender Freude. Sie fühlten sich von ihm erkannt, aber auf eine Weise, die ihnen gefiel. Wer etwas erfahren will vom Geist des deutschen Bürgertums in der Bismarckzeit, der kann es in den Busch-Alben besser als in manchen gesellschaftswissenschaftlichen Traktaten“.
Über solch tiefsinnige Abgründe segelt die Musik von Bernd Alois Zimmermann leichtfüßig hinweg und setzt lieber auf Persiflage und Parodie. Zum Auftritt von Vetter Franz tanzen Tuba, Piccoloflöte, Fagott und Klarinette einen derben Ländler, den Liebesbrief Helenes kommentieren Tuba und gedämpfte Geige mit schmachtendem Säuseln, Helenes Reue erscheint in Form einen schwankenden Flöte, die zur finalen Versuchung ihr Leben in höchsten Tönen aushaucht.
Höllisch durchtrieben war nicht nur Wilhelm Busch, dessen 175. Geburtstag in dieses Jahr fällt. Auch Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in Der Unterwelt“ kostet die höllische Szenerie weidlich aus. Der Oboist des Persius-Ensembles, Jan Böttcher, komprimierte daraus eine kecke, knappe „Orpheus-Fantasie“, die zwar der originalen Besetzung in Offenbachs kleinem Theater nahe kommt, doch eigene Schwerpunkte setzt. Horn und Flöte markieren bekannte Wendungen, aber insgesamt dominiert die Geige. Peter Rainers brillant gespielte, süße und zugleich leicht scharfe Melodien im Dreivierteltakt verwandelten Offenbachs Orkus in ein Wiener Kaffeehaus am Abgrund.
Nach der Pause dann großer Programmwechsel von Scherz und Satire zu ernsthafter romantischer Kammermusik mit Louis Spohrs meisterlichem Nonett F-Dur. Trotz symphonischer Verdichtung in einzelnen Sätzen, erklingt jedes der neun Instrumente individuell. Gemeinsam entstehen Klangbilder von berückender Schönheit, die atmend und schwingend jeden Moment ausfüllen. Die großartige Violine (Peter Rainer), Viola (Ralph Günthner) und Cello (Jan-Peter Kuschel) strahlen um die Wette, die klare Flöte (Bettina Lange) leuchtet dazu. Ein elegisches Adagio und ein bravouröses Finale in dynamischer Feinstarbeit und rhythmischer Raffinesse beschließen das Konzert.
Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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