Kultur: Komponierende und spielende „Orgelkönige“ Holger Gehring spielte in der Friedenskirche
Wer sich autodidaktisch das Orgelspiel beibringt, mit zwölf Jahren als Organist an der Kirche Saint-Serge seiner Geburtsstadt Angers tätig wird und als 15-Jähriger vom Pariser Konservatorium aufgenommen wird, den darf man guten Gewissens in die Kategorie der Wunderkinder einordnen. Dass der 1930 geborene Jean Guillou keinesfalls kometengleich verglüht, sondern zum Titularorganisten an der Pariser Saint-Eustache, eine der geschichtsträchtigsten Kirchen des Landes, ernannt wird, spricht für sein Können.
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Wer sich autodidaktisch das Orgelspiel beibringt, mit zwölf Jahren als Organist an der Kirche Saint-Serge seiner Geburtsstadt Angers tätig wird und als 15-Jähriger vom Pariser Konservatorium aufgenommen wird, den darf man guten Gewissens in die Kategorie der Wunderkinder einordnen. Dass der 1930 geborene Jean Guillou keinesfalls kometengleich verglüht, sondern zum Titularorganisten an der Pariser Saint-Eustache, eine der geschichtsträchtigsten Kirchen des Landes, ernannt wird, spricht für sein Können. Komponiert hat er fleißig. Unter anderem sieben Sagas, von denen zwei im Orgelsommer-Konzert am vergangenen Mittwoch mit dem in Bielefeld zur Welt gekommenen und seit gut zehn Jahren als Organist an der Dresdner Kreuzkirche tätigen Holger Gehring in der Potsdamer Friedenskirche erklungen sind.
In der „3ème Saga“ breitet sich düsterer und pedalflächiger Marschklang aus, über dem sich eine monotone Diskantstimme erhebt, die an einen Piepton oder an eine Maschinenstickerei erinnert. Zusammen mit Schnarrregistern ergibt das eine reizvolle Verzahnung. In „Ikarus“ der „6ème Saga" sorgen Clusterbildungen für aufgeregte Dialoge zwischen Vater Daidalos und Sohn Ikarus. Der Warnung vorm Fliegen in allzu großer Annäherung an die Sonne folgen ostinate Akkorderuptionen, dann der klangmächtige Absturz.
Seelenbesänftigend verströmt sich anschließend das „Cantabile“ von César Franck (1822–1890), das Holger Gehring mit an- und abschwellenden Zungenstimmen zu gebührender Wirkung bringt. Dagegen führt das eingangs erklingende Präludium und Fuge d-Moll op. 37 Nr. 3 von Felix Mendelssohn Bartholdy mit ihrer Bachschen Formenstrenge in die Welt der kontrapunktischen Verstrickungen. Gradlinig ist des Organisten Spiel, gleichmäßig das Metrum, einheitlich die Registrierung. Plastisch modelliert er das variierte Zitat „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken“ aus Bachs „Weihnachtsoratorium“. Ohne Überraschungen zeigt sich dagegen die regelgerecht gesetzte und mit scharfen Prinzipalstimmen im Diskant erklingende Fuge.
Für mannigfaltige Entdeckerfreuden sorgen jene Orgelstücke, die mit Variationen über prägnante Themen glänzen. Zum einen ist es das A-Dur-Angebot von Johann Gottlob Schneider (1789–1864), Spross einer Musikerdynastie aus der Oberlausitz, der auch „Orgelkönig“ genannt wurde. Komponiert hat er nur wenig – so das „Thema mit Variationen“, dessen liedhafte schlichte Melodie hin und her gewendet wird. Sie erfährt rhythmische Verschiebungen, heitere, spieluhrartige, mozartnahe Umformungen. Schnarrende Trompetenregister sorgen für launige Abwechslung.
Zum anderen ist da Arno Landmann (1887–1966), der als Thema für seine Variationen die Klagearie der Almirena „Lascio ch’io pianga“ aus Händels Oper „Rinaldo“ verwendet. Von stockend über operntheatralisch bis zum hymnischen Finale im vollen Orgelwerk bedient sich Holger Gehring hemmungslos des Klangfarbenreichtums der Woehl-Orgel. Viel Beifall und eine Zugabe. Peter Buske
Peter Buske
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