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Kleist-Preisträgerin 2011: Sybille Lewitscharoff

© Archiv Susanne Schleyer

Kultur: Konfrontation mit einem Genie

Die diesjährige Kleist-Preisträgerin Sybille Lewitscharoff liest in der Villa Quandt aus „Blumenberg“

Stand:

Der Löwe war prächtig, groß, gelb und beeindruckend, und dies, obwohl man ihm sein Alter anmerken konnte. Er schien von den vielen Kämpfen lädiert zu sein, wirkte zahm und müde. Und vor allem lag er einfach da, direkt auf dem Buchara-Teppich im Zimmer des Gelehrten Blumenberg. Ja, und noch eins: Den markanten Geruch des Tieres konnte der Professor deutlich wahrnehmen.

Mit einem Löwenbild beginnt die Autorin Sybille Lewitscharoff ihren 2011 erschienen Roman „Blumenberg“, den sie am kommenden Sonntag in einer Matinee des Literaturbüros vorstellt. Es ist ein ungewöhnliches Buch, das die Heinrich-von-Kleist-Preisträgerin dieses Jahres dem Lesepublikum präsentiert. Auf äußerst unterhaltsame Weise gelingt es ihr, durch die Romanfigur Blumenberg, die wir im Jahre 1982 in der Stadt Münster kennenlernen, den Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996) zu skizzieren.

Lewitscharoff präsentiert einen angenehmen, zurückgezogen Professor, der nach jeder Vorlesung an der Universität Münster den gut besuchten Saal durch eine Seitentür schnellstens wieder verlässt. Das Besondere an ihm ist nicht seine körperliche Gestalt, sondern die Art und Weise, wie er seine Themen den Studenten präsentiert. Die Fähigkeit freier Rede, die genialen philosophisch-historischen Ausführungen, die offensichtlich auch den Zeitgeist der Jugend treffen, bescheren dem Professor einen treuen Zuhörerkreis. Dazu gehören die Studentin Isa, die gewöhnlich immer aus der ersten Reihe der Vorlesung folgt, aber auch der begabte Gerhard Bauer (möglicher Nachfolger Blumenbergs) sowie der Schönling Hansi und der leicht verstörte Richard. Alle haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie erkennen oder vielmehr erahnen, dass sie mit Blumenberg einem großen Bildungsmenschen begegnen, und sie werden durch die Begegnung mit dieser Figur kein normales Leben mehr führen können. Alle vier Studenten sollten ihr Leben vorzeitig beenden.

Isa, die einer infantilen Liebe zu dem Professor verfallen ist, wovon Blumenberg nichts erfahren wird, bringt sich um. Richard, der an seiner Promotion scheitern soll, wird auf einer Brasilienreise umgebracht. Die anderen zwei ereilt ein ebenso tragisches Ende. Sprach Blumenberg nicht in seinen Vorlesungen über das Trostbedürfnis des Menschen bei dessen gleichzeitiger Trostunfähigkeit? Dabei wurde er selbst über Jahre hinweg von diesem dubiosen Löwen, der mal da war und gelegentlich wieder verschwand, beruhigt und getröstet. Wie ungerecht doch das Leben ist, denn niemand tröstet Blumenbergs Studenten, die bei der Aufnahme des Lehrstoffes des Meisters an ihre Grenzen stoßen. Es scheint, als könnten sie angesichts der Koryphäe Blumenberg einfach nur kläglich versagen.

Die Autorin versteht es besonders gut, die Konflikte, die durch die Konfrontation eines Genies mit dem mäßig begabten Menschen entstehen, literarisch zu beschreiben. Es gelingt ihr einerseits, das dünne Band, das die Studenten mit ihrem Meister verbindet, genau zu beschreiben. Andererseits macht sie dem Leser klar, dass Blumenberg selbst in einer Wirklichkeit lebte, die nur selten einen anderen Menschen zuließ. Nicht ohne Grund sah sich Blumenberg mit dem Kirchenvater Hieronymus geistig verwandt. So blieb dieser für ihn das Ideal eines zurückgezogenen Gelehrten, dazu noch begleitet von einem von ihm selbst geheilten Löwen – was für Parallelen!

In keiner Weise erhebt Lewitscharoff den Anspruch, das philosophische Werk Hans Blumenbergs beschreiben zu wollen. Es wäre ohnehin nicht möglich gewesen, die umfassende philosophische, theologische und historische Bildung jenes Mannes in Form eines Romans darzustellen. Vielleicht deswegen hat sich die Autorin gegen eine Biografie des Gelehrten entschieden.

Sybille Lewitscharoff schafft jedoch ein kostbares Gerüst an Möglichkeiten zur individuellen Beschäftigung mit dem Philosophen, der im Bereich der Hermeneutik Herausragendes geleistet hat und dennoch persönlich immer wieder vor der Wirklichkeit fliehen musste. Mit Dank erwähnt die Schriftstellerin am Ende ihres Buches die Hilfe der Tochter Bettina Blumenberg sowie viele Gespräche und Briefe, die ihr geholfen haben, der Person Hans Blumenberg näherzukommen. In Verneigung hat sie den Lesern einen Stoff und eine Figur auf den Weg gegeben, die Legenden bilden können und doch noch mehrere Fragen offen lassen, und genau dies ist der größte Vorteil dieser Veröffentlichung. Katja Stein

Lesung am Sonntag, dem 27. November, 11 Uhr. Moderation: Katarzyna Kaminska. Villa Quandt, Große Weinmeisterstr. 46/47, Anmeldung unter Tel.(0331)2013979 oder blb@literaturlandschaft.de, Eintritt: 7/5 Euro.

Katja Stein

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