Kultur: König Lear als Crashtest-Dummy für menschliche Katastrophen
Viel Beifall für die Premiere des Hans Otto Theaters von Shakespeares „König Lear“ in der Reithalle A
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Viel Beifall für die Premiere des Hans Otto Theaters von Shakespeares „König Lear“ in der Reithalle A Von Frank Jast Wer von seinem Theatererlebnis „König Lear“ erzählt, der schwärmt – wenn es gut gewesen ist – natürlich erst einmal vom Hauptdarsteller. Der Lear ist nun einmal die Paraderolle für die in die Jahre gekommenen Großen des Schauspielfachs. Und weil die Premiere des „Lear“ am Sonnabend in der Reithalle A mit viel Beifall und einigem Getrampel und vereinzelten Bravo-Rufen vom Publikum aufgenommen wurde, muss natürlich auch hier dem Hauptdarsteller gehuldigt werden. Alexander Lang gibt den König Lear, der sein Land großmütig unter seinen Töchtern verteilt und von ihnen dafür schnöde gedemütigt wird, als adretten, agilen, älteren Herren, der zwar Anflüge von gemütlicher Schrulligkeit hat, aber nie – selbst in tiefster geistiger Umnachtung nicht – zum tattrigen Greis wird. Seine Erscheinung ist bis zum Schluss die einer Majestät in Saft und Kraft, eines Mannes in den besten Jahren, erlebnishungrig, so zärtlich wie unabdingbar liebend, mit Esprit parlierend, blutvoll hassend, hingebungsvoll rasend. Alexander Lang ist einer jener Schauspieler, die sich nicht der Rolle anpassen oder sich gar in diese einpassen, sondern mit Selbstbewusstsein die Rolle dem eigenen Temperament unterwerfen. Lang nimmt den Begriff „Schau-Spielen“ wörtlich: Er spielt mit seiner Figur, er testet sie in verschiedenen extremen Konstellationen aus: Die Theaterfigur als Crashtest-Dummy für mögliche menschliche Katastrophen. Lang scheint den Lear mit geradezu kindlicher Neugier, dass heißt so unbarmherzig wie mitfühlend, zu besichtigen, um ihn damit gleichzeitig für das Publikum zur Besichtigung frei zu geben. Lang gibt den Lear ganz im Sinne der Brechtscher Verfremdung. Und es funktioniert prächtig, das Publikum hat seinen Spaß an diesem filigranen, ironischen Spiel. Viel Komik im Tragischen Ralf-Günther Krolkiewicz lässt von Anfang an als Regisseur keinen Zweifel daran, dass ganz im Shakespeare’schen Sinne auch eine Tragödie viel Komik verträgt. Er setzt um, was er in seinem Gedicht im Programmheft sinniert: „Ich glaube an keine Tragödie / Ich glaube an die Lächerlichkeit / Die entsetzlichste Tragödie / Ist zugleich die lächerlichste." Je mehr die Figuren um die Macht buhlen, desto lächerlicher lässt Krolkiewicz sie erscheinen und findet dafür berührend sinnfällige Bilder, z. B. wenn Regan und Goneril schon im ersten Akt scheinbar zwanglos über die Entmachtung ihres Vaters nachdenken, spielen beide doch ernsthaft Haschen nach der Krone des Vaters. Die Bühne von Marianne Hollenstein ist ein karges, mit Blechplatten abgedecktes Viereck, nach hinten mit einer schwarzen Wand abgeschlossen, die eine schmale, in der Breite verschiebbare Öffnung nach hinten als Auf- und Abgang freigibt. Nur ein Blechplatte bleibt im Bühnenboden ausgespart für eine Art Sandkasten, in denen sich nach Bedarf gesuhlt werden kann. Die karge Hütte für den Unterschlupf ist ein übergroßer Karton. Die Schauplätze werden wie zu Shakespeares Zeiten vor allem durch das Spiel der Akteure erschlossen. Krolkiewicz vertraut hier ganz auf das Können seiner Schauspieler. Die Regie gestattet mit selten gewordenem handwerklichen Geschick den Schauspielern, ihren Figuren mit konzentrierter Gestik und Mimik – ohne allen aufgeblasenen komödiantischen Schnickschnack – Leben einzuhauchen. Wir erleben eine großartig zurückgenommene Rita Feldmeier als brave, treuherzig-zupackende Kent von leiser menschlicher Größe. Philipp Mauritz zeigt uns überzeugend die Wandlung Edgars, des verstoßenen Sohnes des Grafen Glosters, vom bekifften Herumtreiber zum verzweifelt umgetriebenen Verbannten, der sich in die Gestalt des Bettlers flüchtet, um zu guter Letzt seinem Vater uneigennützig beizustehen. Wolfgang Menardi nimmt man diesmal ohne weiteres den doppelgesichtigen, aasigen und verführerischen Bastard Edmund ab, der den Vater ins Unglück stürzt und die königlichen Schwestern Regan und Gonril mit seinem blutrünstigen Charme gefügig macht. Die verrucht verschlagenden und liebeslüsternen Schwestern sind Katharina Voß (Goneril) und Sonja Grüntzig (Regan). Beide verstehen es, die unheilvolle Verquickung von haltloser sexueller Gier und ungebremster Machtgelüst beklemmend aufscheinen zu lassen. Theresa Scholze als Cordelia bietet uns eine treuherzige, ohne Arg liebevolle, sich um Wahrhaftigkeit quälende Cordelia. Blind gegen Ränkespiele Sebastian Wirnitzer ist köstlich als keck-lässiger König von Frankreich und blasierter Haushofmeister. Roland Kuchenbruch spielt anrührend die treue Seele Graf Gloster als etwas trotteligen Dienstmann, dessen selbstsichere Ehrbarkeit ihn blind werden lässt gegen die Ränke seines Bastards Edmund, um dann sein Augenlicht wirklich zu verlieren durch Blendung, weil er seinen König nicht verraten will. Henrik Schubert verleiht seinem Herzog von Albany die melancholische Bitternis eines Mannes, der die Hoffnung auf das Gute und Gerechte längst aufgegeben hat, jedoch den Glauben daran nicht verlieren kann. Und da ist die Närrin der Gertraud Kreißig als anarchistischer Troll, der seine besten Tage hinter sich hat und sich doch immer wieder mehr oder weniger gequält auf seine Profession, die Narretei, besinnt, um der Wahrheit, wenn auch vergeblich, eine Gasse zu bahnen. Vielleicht ist manches bei ihr ein wenig zu aufgesetzt und zu flink, worunter die Verständlichkeit leidet. Ronald Funke ist ein eher tumb-gewalttätiger Herzog von Cornwall und Roland Polenske spielt mit immer gleichem Pokerface verschiedene Diener und Soldaten. Marion Hauer hat die Darsteller in Kleider von heute gesteckt. Die Reichen und Mächtigen tragen Designer-Mode, auf dem Schlachtfeld sogar in schmucken Tarnfarben. Und auch das funktioniert in dieser Inszenierung, ohne vordergründige Heutigkeit zu agitieren. Am Ende lässt Krolkiewicz seinem Publikum keinen Funken Hoffnung. Wird bei Shakespeare die Macht an Kent und Edgar übergeben, mit dem Auftrag: „... heilt des Staates Leiden", bricht der Regisseur mit dem Satz von Herzog Albany „Was uns zunächst erfüllt,/ Ist allgemeine Trauer“ ab. Die Protagonisten sitzen, stehen oder liegen auf der Bühne ratlos herum. Hamlet lässt grüßen: „Der Rest ist Schweigen.“ Die Aufführung verdient es, dass darüber – auch über Potsdam hinaus – geredet wird.
Frank Jast
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