Kultur: Königliche Klangwonnen
Matthias Jacob beim Caputher Orgelsommer
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Matthias Jacob beim Caputher Orgelsommer Was, wenn eine Pfeife von der Stimmrolle ist? Dann muss sie in ihrer Intonation nachjustiert werden. Wie macht man das? Warum muss man eine Pfeife mit Baumwollhandschuhen anfassen? Machte man es nicht, würden winzige Schweißpartikel mit dem Pfeifenzinn eine Verbindung eingehen, unschöne Flecken wären die Folge. Und: wie entsteht überhaupt ein Ton? Fragen über Fragen. Keiner hat sie direkt gestellt. Dennoch werden sie alle den des Orgelbaus Unkundigen, aber Wissbegierigen vom Orgelsachverständigen Andreas Kitschke beantwortet. Sie sitzen auf der Empore, können ihm auf die registerziehenden und spielenden Hände schauen. Ein dankbar angenommenes Vorprogramm für das Konzert mit Matthias Jacob an der neuen Orgel von Reinhard Hüfken im Rahmen des Caputher Orgelsommers. Wie die vom Schuke-Schüler wieder verwendeten historischen Register tönen, führt Kitschke genauso vor wie er Prospekt, Disposition, Anordnung der Register links und rechts des Spieltischs (die tiefen stehen oben, dann geht''s höhenaufsteigend nach unten) erläutert. Der Kalkantenzug, mit dem früher der Bälgetreter sein glöckchenklingelndes Einsatzzeichen bekam, ist zwar noch da, dient nunmehr als Einschalter für den Motor, der die Luft ins Windwerk pumpt. Dass die Orgel über eine farbenfrohe Disposition verfügt, bezeugen u. a. glitzernde Quinte, strahlendes Cornett, klangkrönende Mixtur. Das I. Manual (die untere Klaviatur) sei für das Kräftige zuständig, das II. fürs Zarte. Den Worten folgen die tönenden Taten. Dann tritt Matthias Jacob in Aktion, verwandelt das zuvor Gelernte in königliche Klangwonnen. Er spielt ganz und gar kein Allerweltsprogramm, auch wenn mit Bach (natürlich), Buxtehude (ist immer gut), Mendelssohn Bartholdy (als Beispiel für deutsche Orgelromantik stets gern gewählt) die einschlägig Bekannten zu Worte kommen. Aber Reger? Gewiss doch, wenn man aus dessen Schaffen die dem Instrument passenden Piecen auswählt! Zart und brillant, perlend und wie hingetupft hebt Bachs G-Dur-Fantasia BWV 571 an. Das kann, hört der nunmehrige Kenner sofort, nur im II. Manual gespielt sein. Dann der Wechsel ins I. - und schon klingt''s kräftig. Erneuter Wechsel. So entstehen, wie es das Notenbild vorzeichnet, unaufhörlich pulsierende Klangwellenlinien. Frisch und freudig eilt die Choralbearbeitung „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ BWV 667 vorüber, während „Meine Seele erhebt den Herrn“ BWV 648 mit Solopedal und Tremulant sehr erhebend zu wirken versteht. Verinnerlicht, ernst und erhaben breitet sich Buxtehudes Passacaglia d-Moll aus. Mendelssohn Bartholdys f-Moll-Sonate op. 65 Nr. 1 erklingt durch steten Manualwechsel auffällig kontrastbetont. Lieblich tönt das Adagio, virtuos und jubilierend das finale Allegro vivace assai; das Andante recitativo lebt vom effektvollen Einsatz des Tremulanten und Jalousieschwellers. Reger zeigt sich diesmal ganz von seiner kammermusikalisch-intimen Art. Zart und feingliedrig hört sich aus „Neun Stücke für die Orgel“ op. 129 der Kanon e-Moll an, romantisch besänftigend die Melodia B-Dur, kapriziös sich spreizend das Capriccio g-Moll. Als orgelvorführerische Zusammenfassung gibt es zum Abschluss Bachs Dorische Toccata und Fuge BWV 538, lebendig, konzertant, brillant, gradlinig und strahlend vorgetragen. Nun haben fast ausschließlich die Principale das Sagen. Und auch für zwischendurch gönnt sich Matthias Jacob keine Registrierungsmätzchen. Ein Bach der klangklaren, klar strukturierten und kraftvollen Art. Peter Buske Nächstes Konzert: heute., 19 Uhr, mit Dietrich Schönherr.
Peter Buske
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