Kultur: Konstruktive Wutausbrüche „Standstill“ aus Barcelona im Waschhaus
Wer in seinem Pressetext Bands wie „At the Drive-In“ und „..
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Wer in seinem Pressetext Bands wie „At the Drive-In“ und „... And You Will Know Us By The Trail Of Dead“ als Referenzen auflistet und dazu schreibt, man sei die beste Live-Band seit „Refused“, hat erst einmal ein gesundes Selbstbewusstsein. Die spanische Band „Standstill“ sind also entweder größenwahnsinnig oder verdammt gut. Die musikalische Antwort darauf liegt irgendwo dazwischen. In deutschen Landen noch Randgestalten der Musikjournaille, wagt es bei Standstill“-Konzerten in ihrer Heimat keiner, die Füße still zu halten. Aber fangen wir von vorne an und zwar beim Support „Don Kopischke“. Mit druckigem Spaß-Pop-Punk lassen es sich die Ex-Goodall-Jungs auf der Bühne im Waschhaus gut gehen. Ihr Puppentheater haben sie diesmal im Bandbus gelassen, was der Show nicht unbedingt gut tut. Denn an Stelle der bei Kopischke-Gigs ganz unterhaltsamen Handpuppeneinlagen, tritt eine alberne Rumblödelei wie sie im O-Ton auf Grundschulhöfen nachgehört werden kann. Es geht auf Mitternacht zu, langsam könnten die Kopischken sich aber wieder in den Backstage-Bereich zurückziehen und da weiter hampeln. Machen sie aber nicht. Also lieber noch einmal kurz an der Bar vorbeigeschaut und Mut angetrunken. Schließlich wird „Europas extravaganteste Post-Hardcore-Band“ (wieder Pressetext) erwartet. Das dürfen eigentlich nur schwedische Bands behaupten, umso gespannter sieht man dem Auftritt entgegen. Nach einer mehrminütigen Feedbackorgie erbarmt sich Sänger Enric, greift zum Mikro und wünscht einen spanisch-akzentigen „Guten Abend“. Die im Vorfeld ausgeworfenen Superlative bei den Bandattributen sollen sich zumindest teilweise bestätigen. Natürlich langt es nicht an die Intensität von „Refused“ heran und für den ausgefeilten Sound von „...Trail of Dead“ müssen sie auch noch eine Weile im Bandraum friemeln. Dennoch sind „Standstill“ umwerfend, mitreißend, überraschend – und das live mehr als auf Platte. Durch den meditativen Klangteppich schießen wilde Eruptionen, vertrackte Rhythmen stellen sich Trance-artigen Synthieflächen gegenüber. Enric zappelt schlacksig über die Bühne wie eine Marionette, deren Schnüre sich verheddert haben. Dann schnappt er sich die Akustik-Gitarre und schrammelt wie wild auf sie ein – fast unhörbar, aber irgendwie sympathisch-verschroben. Oft sieht man ihn auch apathisch vor seiner Roland Groovebox knien und dem Gerät die wunderlichsten Beats und Sounds entlocken. „Ein frohes Gemüt kann Schnee in Feuer verwandeln“, lautet ein spanisches Sprichwort. Wut kann mehr: sie verwandelt Noise-Brocken in brodelnde Lava, die sich Bahn bricht und in die seltsamsten Sound-Täler ergießt. „Wir müssen nicht mehr ständig herumbrüllen oder besonders laut sein. Wir können unsere Wut und Aggression auch anders ausdrücken, und zwar mit der gleichen Intensität“, beschreibt Enric den neuen Fahrplan auf der aktuellen CD in einem Interview. Weg vom noisigen Gegröle, hin zu vielschichtigen Soundstrukturen. Wut, Melancholie und ungefilterte Leidenschaft sind die Zutaten, mit denen bei hoher Flamme gekocht wird. „Standstill“ – der Name hätte irreführender nicht gewählt werden können, denn Stillstand ist ihre Sache nun wirklich nicht.
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