Kultur: Kontemplation mit Sahnehäubchen
Die Kantaten IV bis VI von Bachs „Weihnachtsoratorium“ in der Friedenskirche
Stand:
Jetzt noch von Weihnachten singen, das längst vorbei ist? Die Kantaten IV bis VI des Johann Sebastian Bachschen „Weihnachtsoratoriums“ (BWV 248) machen es möglich. Meistens fallen sie jedoch „unter den Tisch“, werden stattdessen nur die ersten drei Kantaten zur Übermittlung der frohen Weihnachtsbotschaft aufgeführt. Entsprechend ihrer Bestimmung als liturgischer Kantatenzyklus gehören jedoch alle zusammen: erklingen die Kantaten I bis III an den ersten drei Weihnachtstagen, sind IV bis VI für den Neujahrstag, den ersten Sonntag im neuen Jahr und das Epiphanienfest (Dreikönigstag) bestimmt. Da das Werk zwar im gottesdienstlichen Sinn eine Einheit bildet, im künstlerischen jedoch nicht unbedingt, hat sich über die Jahrzehnte hinweg eine zweigeteilte Aufführung des Zyklus eingebürgert. Meistens ist es der erste Teil, dem die Zuwendung der Hörer wie der Kirchenmusikdirektoren gehört. Zum Jahreswechsel 2006/07 entschloss sich Matthias Jacob zur Aufführung des weit weniger bekannten zweiten Teils.
Nachdem die Hirten, wie ihnen in der dritten Kantate verheißen, das Kind in der Krippe gesehen hatten, kehrten sie nach Hause zurück. Ein Choral („Seid froh dieweil“) klang ihnen nach. Nun, zu Beginn des zweiten Teils, also mit der Kantate IV, geht es beschaulicher zu. Außer der Beschneidung und Namensgebung hält sie nichts Aufregendes bereit. Schwärmerische Betrachtungen bestimmen den weiteren Verlauf. Den von Hörnern begleiteten Eingangschor „Fallt mit Danken“ stimmt der Oratorienchor Potsdam auffallend hellgetönt und frisch an. Die von Jacob erwählten zügigen Tempi – mit denen alles Sentimentale gemieden und die Kontemplation der Vorlagen mit Lebendigkeit ergänzt werden soll – bewältigen sie mühelos, wissen mit Klangschönheit und Homogenität zu überzeugen. Kurz phrasiert, singen sie eine Lebhaftigkeit herbei, die sich zunehmend mit festlicher Freude umhüllt. Doch auch in den Chorälen gefällt ihr inniger Gesang.
Ganz weich erklingt das „Ich steh an deiner Krippen hier“ (Kantate VI), wobei die Männerstimmen reichlich dünn, konturlos und wenig prägnant aufklingen. Dieses Manko suchen die Soprane und Alte wettzumachen, die in kraftvoller Singart feststellen, dass „Tod, Teufel, Sünd und Hölle“ nun ganz und gar geschwächt seien. An diesem Ausgang hat die Kammerakademie Potsdam einen nicht unerheblichen Anteil. Ihr schlanker, analytischer, ganz auf Transparenz orientierter Klang bietet sowohl dem volksliedhaft innigen Duett von Sopran und Bass „Immanuel, o süßes Wort Wohlan, dein Name soll allein“ oder der lieblichen Sopranarie „Flößt, mein Heiland“ als auch dem affektreichen (chorischen) Schnauben der Feinde den erforderlichen Klangteppich. Die Soli von Violine (Peter Rainer) und Oboe (Emma Davislim) setzen Arien wie Ensembleszenen die instrumentalen Sahnehäubchen auf.
Geradezu spannend breitet sich die so genannte „Echo-Arie“ aus, in der das Gespräch der Seele mit dem Jesuskind durch eine zweite Sopran- und Flötenstimme auf geradezu spielerische Weise stilisiert wird. Dabei lässt Nathalie de Montmollin ihren ebenmäßigen, instrumental geführten Sopran anmutig und klar erklingen. Im erwähnten Duett wird sie von Thomas Wittig assistiert, der mit seines kräftigen Basses lyrischem Wohllaut sehr zu überzeugen versteht.
Klar, rein und kraftvoll trägt Susanne Krumbiegel den Altpart (von Jesu Mutter Maria) vor, gibt im Terzett „Ach, wenn wird die Zeit erscheinen?“ mit ihren wiederholten „Schweigt, er ist schon wirklich hier!“-Einwürfen die frohe Antwort. Koloraturenbeweglich und höhenleicht trägt Achim Kleinlein mit kleiner Tenorstimme den Evangelistenbericht vor. Wenig spannend, geradezu märchenonkelhaft singt er die Arie „Ich will nur dir zu Ehren leben“ (Kant. IV), um zunehmend von innerer Beteiligung und Begeisterung erfüllt zu sein. Trotzdem fehlt es ihm beim Vortrag der Arie „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken“ an jener Prise stimmmarkigen Selbstbewusstseins, das der Kantate VI den letzten Schliff – des Triumphes über das Böse – verleiht. In rauschender Sechzehntelbewegung, trompetenstrahlend und paukenumwirbelt, endet die Weihnachtsgeschichte. Ihr folgt anhaltender Beifall. Peter Buske
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: