Kultur: Kontemplative Annäherung
Oratorienchor Potsdam stellt sich in der Friedenskirche der Bachschen „Matthäus-Passion“
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Oratorienchor Potsdam stellt sich in der Friedenskirche der Bachschen „Matthäus-Passion“ Von Peter Buske „Als in einer vornehmen Stadt diese Passions-Music () zum ersten mal gemacht ward, erstaunten viele Leute darüber.“ Im Verlauf dieser hübschen Anekdote von 1732 beklagt sich eine adlige Witwe: „Ist es doch so, als ob man in einer Opera-Comödie wäre.“ Ob damit Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ gemeint ist, wird nicht überliefert. Um solchem Vorwurf zu entgehen, wählt Matthias Jacob für seine Deutungsvariante des zwischen vertonter Predigt und geistlicher Oper pendelnden Werkes eine weitgehend kontemplative Annäherung. Neun Jahre liegt es mittlerweile zurück, da der Friedenskirchenkantor zusammen mit dem Oratorienchor Potsdam sich des vielschichtigen Werkes annahm, das den Leidensweg Christi vertont. Doch in der Zwischenzeit war in der Stadt kein Mangel an konventionellen bis historisch-analytischen Aufführungen. Matthias Jacob entscheidet sich heuer für die hinlänglich bekannte Neufassung von anno 1736, die er am Wochenende gleich zwei Mal in der überfüllten Friedenskirche darbietet. Dem Werk und Orte angemessen, sind die Zuhörer aufgefordert, die Aufführung in Stille ausklingen zu lassen. Statt Applauses wird das Aufstehen und Verharren in Schweigen als Dank akzeptiert. Alle halten sich daran. Als Mitstreiter seiner Deutungsabsichten gewinnt sich der Dirigent das Neue Kammerorchester Potsdam, die mit den diesbezüglichen Noten seit langem bestens vertraut sind. Sparsam benutzen sie das Vibrato, um sich umso ungehemmter einer gradlinigen, geradezu leichten Tongebung hinzugeben. Sie musizieren schlank und bemühen sich erfolgreich um einen klaren, auf Genauigkeit bedachten Klang. Sie phrasieren vorzüglich, beherrschen die barocke Rhetorik nicht minder überzeugend. Einzelne Instrumentalisten umschmeicheln die Arien per Flöte, Violine oder Viola da gamba. Gemessenen Zeitmaßes erklingt das Orchestervorspiel, mit dem sich das reichlich dreistündige, durch eine Pause unterbrochene Geschehen eröffnet. „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ bittet der Eingangschor. Machtvoll und ausgeglichen tönt der vorzüglich einstudierte Oratorienchor Potsdam, der hierbei Unterstützung durch die Singschule Potsdam (Christa Bleyl) erfährt. Da er und die Musiker den Altarbereich restlos ausfüllen und nah am Auditorium sind, ist dieses quasi in das musikalische Geschehen einbezogen. Doch durch die räumliche Enge ist der doppelchörigen Anlage der Passionsmusik nur schwer zu entsprechen, sodass Teilorchester sowie Coro I und II kaum auszumachen sind. Erfreulich, dass auch im weiteren Verlauf die Oratorianer keine Larmoyanz kennen, sondern für packende Gestaltung, für sängerische Intensität und Intelligenz bis hin zum „Tränen“-Abgesang sorgen. In den Chorälen, wie etwa dem selbstbewusst vorgetragenen „O Haupt voll Blut und Wunden“, gewinnt sich ihr schlichter Gesang beeindruckende Größe. In den Turbae-Einwürfen können sie leider nur teilweise mit Durchschlagskraft punkten. So gerät unter anderem die Szene der Gefangennahme Jesu nah an den Rand der Spannungslosigkeit und damit verbundener Langeweile. Begründet sich dieser Eindruck durch des Dirigenten Bemühen um Kontemplation? Es ist unüberhörbar, dass Matthias Jacob nicht nur die Arien durch überdehnte Tempi bis an ihre Belastungsgrenze ausreizt. Besonders evident wird es im Evangelistenbericht, den Peter Maus von der Kanzel verkündet. Mangels stimmlicher Konsistenz erfolgt er sehr zögerlich und zurückhaltend. Die Höhe ist brüchig, sodass der Vortrag der Rezitative zur Hörzumutung wird. Nur in der Mittellage und in einem eng begrenzten Tonraum zeigt sein lyrischer Tenor einstige Güte. Lyrisch, aber ohne salbaderndes Pathos oder menschelndes Mitleid trägt Thomas Wittig den Jesus-Part betont wohlgefällig vor. Ein Affront gegenüber Jacobs Beschaulichkeitsbestrebungen? Doch wirkt auch dieser Vortrag von pastosem Seelenausdruck auf Dauer nur ermüdend. Genauso wie der objektivierende, wenig gefühlsbewegende Vortragsstil von Mojca Erdmann (Sopran), Susanne Krumbiegel (Alt) und Yosep Kang (Tenor). Ihre klaren, instrumental geführten, sozusagen „weißen“ Stimmen verfügen kaum über Leuchtkraft, klingen stattdessen weitgehend ungeschmeidig und glanzlos. Der Sänger innere Anteilnahme hält sich in Grenzen. Einzig der empfindungsvolle Vortrag der Altarie „Erbarme dich“ vermag das Herz zu erreichen und zu erwärmen. Als berühmte Ausnahme von der Regel erweist sich Andreas Jäpel, der mit markantem Bariton die „Nebenrollen“ (Hohepriester, Judas, Pilatus) aufwertet, in den Arien kraftvoll auftrumpft. Auch nach dieser Aufführung der „Matthäus-Passion“ bleibt die Suche nach ihrer ultimativen Lesart auf der Tagesordnung.
Peter Buske
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