Kultur: Kontrastbetont
Potsdamer Orgelsommer mit Arvid Gast
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Weniges hat er im Verlaufe seines nur 24-jährigen Lebens komponieren können, darunter eine Orgelsonate c-Moll über den 94. Psalm. Und allein mit diesem Opus ist Julius Reubke, bedeutendster Liszt-Schüler in Weimar, in die Musikgeschichte eingegangen. Kennern gilt dieses Werk, das sich stark am Prinzip der sinfonischen Dichtungen seines Meisterlehrers orientiert, als eines der wenigen überragenden Kompositionen zwischen den Meistern Johann Sebastian Bach und Max Reger. Mit der einprägsamen Wiedergabe dieses biblischen Hilferufs gegen die Unterdrücker des Volkes Gottes krönte Arvid Gast seinen Auftritt beim Internationalen Orgelsommer Potsdam am Mittwochabend in der Friedenskirche. Dabei korrespondieren Stück und Woehl-Orgel stark miteinander, so Publikumsbegrüßer Andreas Kitschke, denn der Orgelbauer habe sich bei Konzept und Disposition seines Potsdamer Neubaus genau an jenem Reubke-Stück orientiert. Kein Wunder also, dass Arvid Gast, professoraler Meisterorganist an der Lübecker Jakobi-Kirche und der Konzerthalle im Kloster „Unser Lieben Frauen“ in Magdeburg, bei seinem imposanten Spiel auf die maßgeschneiderte Einheit von Notenvorlage und Medium vertrauen konnte.
Geheimnisvoll, leise und unruhig der Sonatenbeginn, getreu der textlichen Vorlage „Herr, du Gott der Vergeltung, erscheine! Erhebe dich, du Richter der Welt, vergilt den Hoffärtigen, was sie verdienen!“ Letztere Aufforderung äußert sich in einer überaus kraftvoll emporschwingenden Monumentalität. So entsteht eine kontrastbetonte Lesart, die in abgründige Tiefen führt, raunende Stimmen beschwört, ätherische Erwartung verströmt. Gasts Registerwahl vermag dabei auf sinnfällige Weise, den textlichen Untergrund auszuforschen. Spannend zu verfolgen, wie sich Lieblichkeit in Aufrührerisches und wilde Entschlossenheit wandelt. Nach diesem ersten Satz singt sich ein introvertiertes Adagio aus, dem ein stark rhythmisiertes Fugenfinale folgt: unruhevoll, dramatisch, hoffnungsfroh. Dem klanggewaltigen 25-Minüter folgt anhaltender Beifall.
Der fällt für die zuvor erklungene „Hommage à B-A-C-H“ für große Orgel von Zsigmond Szathmáry weniger stark aus. Zu ungewohnt sind den Zuhörern die clustergespickten, sirenenhaften Geräusche und abrupten Akkordblöcke des Ungarn, der u. a. bei Karlheinz Stockhausen und György Ligeti studiert hatte. Grelle Posaunenstöße verschrecken dabei genauso wie Waberndes aus der Crescendowalze und Zerrissen-Schräges aus der dissonanzengeschwängerten Mixturenküche die Ohren verstört. Klangballungen in extremer Diskantlage erinnern dabei ein wenig an Jehan Alain oder Olivier Messiaen, ohne je deren geniale Erfindungen zu erreichen. Tokkatische Floskeln setzen der apokalyptischen Eindringlichkeit den ersehnten Schlusspunkt.
Ob sich Johann Sebastian Bach solche „Ehrung“ verbeten hätte? Von ihm erklingen zur Konzerteinstimmung Praeludium und Fuge C-Dur BWV 547: fröhlich, hell und verspielt, freundlich und sehr lebendig. Einheitliche Zeitmaße, Lautstärke und Registerwahl von Anfang an. C-Dur-Festlichkeit auf der ganzen Linie. Filigran, mit geradezu kammermusikalischem Feinsinn erklingt das von ätherischen Stimmungen durchzogene Trio „Allein Gott in der Höh“ BWV 664, dem das todeserahnende, düster einherschreitende „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ BWV 668 folgt. Gemischte Zungenstimmenregister sorgen hier für angemessene Ausdrucksintensität. Peter Buske
Peter Buske
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