Kultur: Kontrastbetont und forsch
Marcon-Einstieg bei Kammerakademie mit Mozart
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Für seinen öffentlichen Einstand als designierter künstlerischer Leiter der Kammerakademie Potsdam und gleichberechtigter Partner von Michael Sanderling erwählte sich Andrea Marcon ausschließlich Werke von Mozart. Die Besucher des 9. Sinfoniekonzerts im Nikolaisaal danken“s ihm. Der An-Leiter ist längst zu einem Spezialisten für frühe italienische Musik geworden, nachdem er das Venice Baroque Orchestra gründete, das häufig in der Chiesa della Pietá an Venedigs Riva-Boulevard standesgemäß mit Werken von Antonio Vivaldi auftritt, die er aus dem Effeff beherrscht. Nun also Mozart. Auch eine sichere Bank für den Azzolini-Nachfolger? Wie würde er den vormaligen fagottspielenden Mitmacher ersetzen können und wollen? Um keine Fragen an seiner diesbezüglichen Kompetenz aufkommen zu lassen, verordnet er den Musiken weitgehende Vibratoabstinenz. Das schafft jenen leicht spröden und schärflichen Sound, den ein großer Teil der Alte-Musik-Szene sich zum Nonplusultra erklärt hat.
In der Ouvertüre zu „Cosi fan tutte“ lotet er die Extreme zwischen laut und leise, langsam und schnell aus. Kurz angebunden kommen die Tuttischläge, unterstützt von den knalligen, knochentrocken auftrumpfenden Pauken. Ein wenig bemüht wirkt, was intensivem Ausdruck entsprechen soll. So also hören sich Leidenschaften aus der Sicht des Dirigenten an. Präzise sind die Einsätze auch bei der Begleitung von Simone Kermes, die mit brillanten Konzertarien die Menge zu begeistern versteht. Mit ihrem tizianroten Haar, faltenwurfreichen Gewand und ihrer beeindruckenden Statur gleicht sie einer antikischen Tragödin.
Wie eine Furie rast sie in „No, che non sei capace“ KV 419 (Nein, du bist keiner Ritterlichkeit und Ehrenhaftigkeit fähig) die leidenschaftlichsten Ausbrüche. Mühelos bewältigt ihr dramatischer Koloratursopran exorbitante Intervallsprünge, turnt die gewagtesten Koloratureskapaden am (Stimm-)Hochseil. Dagegen ist die Königin der Nacht eine brave Vertreterin von Rachegelüsten. Und auch in der Arie „Ma che vi fece Sperai vicino il lido“ KV 368 (Ich hoffte das Gestade schon nahe) führt sie Kraft, Virtuosität und kristallklare Höhen beeindruckend vor. Raunendes Staunen im Auditorium, wenn sie die Spitzentöne gleich kochender Lava aus dem (Kehlen-)Krater herausschleudert. Doch bei aller Glut: dieser Stimme mangelt es an Wärme, strahlendem Glanz und Geschmeidigkeit. Bei aller Vorliebe fürs Fortissimo liegt die Gefahr des Dröhnens nahe. Und das ist leider nicht mehr zum (Bravo-)Brüllen, mit dem man sich eine Zugabe erklatscht: den Klagegesang „Lascio ch“io pianga“ (Lasst mich mit Tränen) aus Händels „Rinaldo“. Hier passt der trockene, gleichsam trostlose Orchesterklang vorzüglich zum Inhalt des Gesungenen.
Die „unerhört?gehört!“-Überraschung entpuppt sich als „Adagio for Strings“ op. 11 von Samuel Barber (1910-1981), anfänglich als langsamer Streichquartett-Satz gedacht und zum spätromantischen Streicherhit avanciert, als Dirigentenlegende Arturo Toscanini das Stück 1938 erfolgreich aufgeführt hatte. Entgegen anders lautender Marcon-Erklärung dem Publikum gegenüber ist die Piece nie in Vergessenheit geraten. Sie wird von den Streichern der Kammerakademie voller antischwülstiger Schönheit als ein atmosphärisch dichtes Klangweben gespielt, Stille, Seelenerbauung inklusive.
Zurück zu Mozart und seiner abschließend erklingender „Jupiter“-Sinfonie, mit deren Wiedergabe sich der Klangbogen zur „Cosi“-Ouvertüre schließt. Kurz angebunden und knochentrocken in den Fortestellen, extrem dynamisiert und über Gebühr dramatisiert sowie durchweg kontrastbetont und wie mit erhobener Faust gehen die Musiker zu Werke. Die ersten drei Sätze wirken regelrecht verbissen. Den lyrischen Seitenthemen fehlt es weitgehend an Eleganz und bezwingender Natürlichkeit. Erst im Finale rundet sich“s zum Ganzen, erstrahlt erhabene Festlichkeit. Eine Mozart-Zugabe stellt schließlich die Beifallsfreudigen zufrieden.
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