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Kultur: Kontrastbetontes Spiel in analytischer Sinnlichkeit

Internationaler Orgelsommer Potsdam: Matthias Jacob in der Friedenskirche Sanssouci

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Zuerst sind die Sinne irritiert, dann zunehmend in den Bann einer ungewöhnlichen Sichtweise gezogen. Quasi kurz angebunden, so als wollte er Aufmerksamkeit für sich und das Werk erheischen, breitet Matthias Jacob, musikalischer Hausherr der Friedenskirche, Johann Sebastian Bachs bekannten Doppelpack der Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 aus. Rezeptionsvorbilder darf man dabei getrost vergessen. Das Aufrauschende wird straff phrasiert, ist ganz auf Transparenz angelegt. Es hört sich an, als stürze eine sprudelnde Quelle eilends einen Katarakt hinunter. Ganz zart getönt ertönt die Fuge, deren polyphones Geflecht sich in filigran gehaltenen Klängen offenbart. Dieser Jacobschen Lesart, das Werk ohne religiösen Bombast, sondern mit anspringender Lebendigkeit als kammermusikalisches Kleinod darzureichen, haftet etwas ungemein Vitales, ja Fluktuierendes an.

Diesem wahrlich aufhorchen machenden Entree seines Konzerts im Rahmen des Internationalen Orgelsommers folgt mit Cesar Francks (1822-1890) Prélude, Fugue et Variation op. 18 der stilistische Kontrast. Die Wiegenliedmelodie ist im dritten, ganz „französischen“ Manual der Woehl-Orgel bestens aufgehoben. Die Wärme der Zungenstimmen, dazu ein leichtes Tremolo und der wiederholte Einsatz des Jalousieschwellers betten die Seele kuschelweich, lassen sie ausruhen und träumen. Darüber hinaus bleiben die majestätisch-kraftvollen Aufschwünge nicht ausgespart. Erneut kann man sich an Matthias Jacobs strukturerhellendem Spiel berauschen.

Des Organisten Liebe zu kontrastbetonten Wechseln setzt sich mit der Wahl für Gisbert Näthers (geb. 1948) „Präludium festivum“ op. 136 fort, das zur Einweihung der Woehl-Orgel 2004 entstand. Was in höchsten Diskantlagen beginnt, setzt sich in akkordischen Attacken des Trompetenregisters, in zerklüfteten Abfolgen von Mixturen und lyrischem Flötenstimmensingen mit teilweise starker Tremolo-Unterstützung fort. Dieses Opus ist ein überzeugender, weil substanzreicher und anhörenswerter Beitrag zur zeitgenössischen Orgelliteratur. Ihm folgt, ganz im Sinne der Kontrastdramaturgie, Barockes: Johann Pachelbels (1653-1706) Ciacona in f. Ohne effekterheischendes Raffinement erfährt sie eine schlichte, klangliebliche Wiedergabe der eindringlich-verinnerlichten Art. Allmählich treten kraftvoll tönende Register wie die Vox humana hinzu. Sehr einprägsam, wie kammermusikalisch transparent sich ihre Schönheiten offenbaren.

Zum Höhepunkt des Abends wird erwartungsgemäß die fesselnde Wiedergabe von Max Regers (1873-1916) Orgel-Phantasie über den Choral „Wie schön leucht“ uns der Morgenstern“ op. 40 Nr. 1 nach dem gleichnamigen Kirchenlied mit Text und Musik von Philipp Nicolai (1599). Sie ist weit entfernt von jenem „diatonischen Dreiklangsgemüse“, das Reger stets ablehnte. Ihm ging die innerste Verwandtschaft mit Bach über alles. Das Ergebnis: die Verschmelzung von Fugenthema mit der Choralmelodie. Wenn in ihr von „lieblich und freundlich, schön und herrlich, reich an Gaben“ die Rede geht, findet es genauso seine tonsetzerische Ausdeutung wie der Passus „dein süßes Evangelium ist lauter Milch und Honig“. Jacob, exzellenter Reger-Kenner, zieht die dazu passenden Register. Sein gliederndes Spiel meidet den Rausch, setzt stattdessen ganz auf die analytische Erhellung der Strukturen, auf die kontrollierte Verzückung, leuchtende Erbauung und ungeduldige Erwartung. In vollem Orgelwerk, von leuchtenden Harmonien umglänzt, endet der Hymnus. Dem Organisten brandet der herzlichste Beifall empor. Peter Buske

Peter Buske

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