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Kultur: Kontrastfurios

Matthias Jacob in der Friedenskirche

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François Couperin entstammt, ähnlich wie Johann Sebastian Bach, einer weitverzweigten Musikerfamilie und wird deren bedeutendster Spross. Von seinem Vater erbt er die Organistenstelle an St. Gervais, die er als Siebzehnjähriger antritt, nachdem er seine Ausbildung beendet hat. Mit 25 Jahren wird er einer der vier Organisten in der königlichen Kapelle zu Versailles, später sogar Hofmusikdirektor. Dennoch liegt seine eigentliche Stärke im Komponieren von Stücken fürs Cembalo: leicht und lebendig, äußerst filigran in der Schreibweise, reich an ornamentaler Melodik und überraschender Harmonik. Das ist am Hofe wohlgelitten. Und zeichnet auch seine gottesdienstliche Gebrauchsmusik aus, so auch die Missa Solemnelle. Nach der Sitte der Zeit werden Teile der Liturgie im Wechsel zwischen gesungenem gregorianischen Choral und Orgelstücken vorgetragen, wobei bei letzteren die Gemeinde den weiteren Text mitdenken muss.

An diese Tradition knüpft Matthias Jacob an, der – als spiritus rector des Internationalen Orgelsommers und musikalischer Hausherr der Friedenskirche – am Mittwoch dort mit einem faszinierend kontrastreichen Programm für Furore sorgte. Beim Gloria aus der Couperin-Messe wirken drei Mitglieder des Vokalensembles „Virga strata“ mit, deren Namen dem eines mittelalterlichen Notationszeichens gleicht. Ihre schönen, sauber intonierenden Stimmen verschmelzen homogen zu einem einheitlichen Ganzen. Ihr würdevoller Gesang tönt aus dem hinteren Altarraum, nimmt zum Orgelklang spannungsvolle Beziehungen auf.

Für den reizt Matthias Jacob vor allem das französische Register der WoehlOrgel aus, um die Couperinschen Registrieranweisungen klartönend und auf die farbenreichste Weise umzusetzen. Seine filigrane und eindringliche Notenausdeutung setzt auf reich verzierte, geradezu verspielte Solostimmen wie Krummhorn, Trompeten, Vox humana, Terz und andere weiche, schnarrende oder näselnde Zungenstimmen.

Anmut, Heiterkeit, Charme und Leichtigkeit sind dagegen kaum Attribute, die sich einem mit der Musik von Olivier Messiaen verbinden. Dennoch ist man von ihren Dissonanzen, grellen Klangballungen und gewaltigen Entladungen stets aufs Neue überwältigt. Wie in einem Weihnachts- und einem Osterstück aus dem Orgelzyklus „Buch vom heiligen Sakrament“. In ersterem wirkt a cappella wieder die Schola mit – nicht notenerforderlich, aber dennoch wichtig zum Verständnis des musikalischen Geschehens.

Die Deutungshoheit liegt bei Matthias Jacob in sachkundigen Händen und Füßen, der akkordische Tiefen- und Höhenblöcke schichtet, ekstatische Klangmassen fortefortissimo ins Sieghafte steigert. Sinn für Stimmungen, Strukturen und dynamische Kontraste zeigt er auch in der überlegen gestalteten Fantasie und Fuge d-Moll von Max Reger. Crescendowalze, irrlichternde Diskantstimmen oder düsteres Pedalpathos sind ihm die passenden Zutaten. Leise, wie ein Gruß aus fernen Zeiten erklingt die Fuge.

Und auch für Rachmaninows orgelbearbeitetes cis-Moll-Prélude sowie Léon Boëllmanns Suite gothique mit ihrem furiosen Toccata-Finale weiß er die überzeugenden Register zu ziehen. Ein großer Abend bei diesem Internationalen Orgelsommer! Peter Buske

Peter Buske

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