Kultur: Kontrastierend bis langweilig
Ksenija Pogorelaja beim Internationalen Potsdamer Orgelsommer in der Erlöserkirche
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„Mein Klavier ist für mich, was dem Seemann seine Fregatte, dem Araber sein Pferd – mehr noch: meine Sprache, mein Leben“, bekennt das musikalische Multitalent Franz Liszt. Es gleichsam zu vervielfachen, transkribiert er eigenhändig sogar eigene Flügel-Werke für allerlei andere Besetzungen, auch die Orgel. Was wiederum und besonders in diesem Jahr auch die Organisten freut, die auf ihrem königlichen Instrument den 200. Geburtstag des Meisters feiern können. Die im russischen Krasnodar geborene Ksenija Pogorelaja bringt bei ihrem Orgelsommer-Auftritt am Mittwoch in der Erlöserkirche gleich ein sechsfaches Notenbukett zur Gratulationscour mit. Aus dem Zyklus lyrisch-intimer Bekenntnisse „Consolations“ (Tröstungen) spielt sie die entrückte Nummer 3 (Es-Dur), die der Stimmung einer romantischen Liebesnacht gleicht, und die choralnahe Nr. 2 (E-Dur), die an eine expressive Kantilene denken lässt. In gedeckten Klangfarben, weich und verschwommen breitet sich erstere, trompetenschnarrend und flötenlieblich letztere Tröstung aus.
In drei Vertonungen des „Ave Maria“-Textes gibt es viel notennotierte religiöse Inbrunst, aber auch himmlische Langeweile zu hören. Ksenija Pogorelaja sucht diesen Eindruck durch die Wahl markanter Register und betont kontrastreichen Spiels zu mildern. Celestaähnlich jubilierend geht es zu, dann wieder pathetisch und langatmig. Sinfonischen Glamour erzeugt sie für die von Carl Müllerhartung erstellte Orgelübertragung der „Einleitung zur Legende der Heiligen Elisabeth“, die mit eingedunkelten Diskantstimmen, dann per schnarrendem Trompetenregister und vollem Orgelwerk viel vom originalen Oratorienentree wiederzugeben versteht. Da sind Organistin und Schuke-Orgel wahrlich ein Herz und eine Seele. Bei Bach-Werken leider weit weniger, obwohl das barock disponierte Instrument dafür bestens geeignet ist.
Was der 24-jährige Johann Sebastian mit jugendlichem Schwung um 1709 in Weimar (oder bereits in Arnstadt?) als Praeludium und Fuge g-Moll BWV 535 komponiert hat, bietet die Organistin im virtuosen Zugriff spielfreudig dar. Läufe und Arpeggien verleihen diesem Jugendwerk toccatenhafte Züge. Ksenija Pogorelaja setzt auf einen starken Kontrast zwischen Pedal und schneidender Diskantlage, bevorzugt sowohl ein gleichmäßiges Metrum als auch eine einheitliche Registrierung mit durchdringenden Prinzipalstimmen. Die gleiche Vorgehensweise bestimmt auch die Wiedergabe von Bachs Bearbeitung des Vivaldischen a-Moll-Concerto BWV 593, wobei die schnellen Ecksätze größtenteils im Forte erklingen und von Ksenija Pogorelaja motorisch abgespult werden. Schade, dass dadurch die filigrane Faktur genauso verloren geht wie die dem Stück innewohnende italienische Leichtigkeit. Langatmig und ohne angemessene Inspiration breitet sie das Adagio aus. Fazit: Ein sehr gradliniger, weitgehend klangstrenger Bach mit dem Charme eines Presslufthammers.
Dagegen scheinen ihr die fünf sehr kurzweiligen Sätze einer 1964 entstandenen „Suite“ ihrer weißrussischen Freundin Nadeshda Dawidowskaja dank ihrer aphoristischen Einprägsamkeit weitaus mehr zu liegen als barocke Überlieferungen. Abwechslungsreich sind sie registriert, pointiert artikuliert und durch eine gemäßigt moderne Setzweise sehr ohrenfreundlich. Bisweilen gibt es sogar gassenhauerische Vergnüglichkeiten zu vernehmen. Die an der Musikakademie in Minsk lehrende Organistin wird mit herzlichem Beifall bedankt. Peter Buske
Peter Buske
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