Kultur: Kopfstand in der Galerie
Ausstellung von Elke Bullert mit Malerei, Grafiken und Ziegelton-Skulpturen im Alten Rathaus
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Ausstellung von Elke Bullert mit Malerei, Grafiken und Ziegelton-Skulpturen im Alten Rathaus Von Gerold Paul Baggerknirschen, Presslufthämmer, großer Lärm vom Bau – am Alten Markt wird jetzt aufs Geratewohl der Horizont gesenkt. Kein gutes Klima für eine so artifizielle und feinsinnige Personalausstellung wie die von Elke Bullert im historischen Rathaus. Die Stadtverwaltung als Veranstalter sah das ein, sie verfügte freien Eintritt. Wünschenswert, wenn dies’ was nützte, denn die 54 Gemälde, Grafiken und herben Ziegelton-Skulpturen sind in der Vielfalt ihrer Themen und Sujets, aber auch durch unterschiedliche Techniken bemerkenswert. Zwischen 1991 und 2005 entstanden, findet man mit Wasserfarben gefertigte Collagen „für die Zisterzienserinnen, die im 13. Jahrhundert das Hungertuch in Zehdenick anfertigten“, originelle Zeichnungen auf handgeschöpftem Papier („Nanuna“) genauso wie zahlreiche Acrylbilder, deren erstes Merkmal augenscheinlich „Buntheit“ ist. Feder/Sepia auf Papier der Serie „Ungesichter“, Getuschtes „für Mme. Chatelet“ oder die merkwürdige „Alte Fahrt“ im Großformat (1991), eine Leihgabe des PotsdamMuseum, so gearbeitet, dass bei einer Drehung um 180 Grad eine ganz andere Vedute dieses wüsten Areals aufschiene – dann nämlich stießen „Höhere“ auf Potsdams angebliche Mitte nieder. Dieses Spiel mit Aug’ und Perspektive wiederholt sich bei „WasserStadt“ oder dem Acrylbild „Imponderabilie“: Erst aus der Ferne erkennt man, wie aus dem mosaikähnlich montierten Details der Umriss einer bekappten Figur hervorwächst. Spiel mit dem Material: Auch die fünf mannshohen Keramik-Objekte, mehr oder weniger gehöhlt, befenstert oder abgebrochen, vermitteln Bullerts Sinn fürs Hohe. Es sind Bildungen zum Thema „Turm“, wo der zu Babel genauso wenig fehlt wie einer zum Wandeln. Ein dritter wird kryptisch „RotTonTurm“ genannt, der vierte steht nur anonym inmitten. Witzig. Elke Bullert liebt es, mehrere Materialien einzusetzen. Bei den sechs Blättern „Anrufung des Großen Bären“ nach Ingeborg Bachmann sieht man auf Knitterbütten aquarellierte Papiercollagen, bei den „12 Blättern zu F.II.“ Zeichnung, Druck und Original-Zeitungs-Überschriften. Interessant, wie diese Injektdruck-Bögen Gegenwart herstellen. Spiel mit Farben und Formen: Augenfällig, wie gesagt. Geschickt zwischen die vielen Grafiken gehängt, gleichen die meisten weniger dem „MarsMarsch“-Menschen (Feder, Sepia auf Papier), sondern eher Bildern der Frühmoderne. Ein Gewimmel von Figuren und (flächigen) Formen, ineinander übergehend, eine Unzahl an Farben, kaum erfühlbar. Bei „Zauberer“ tragen sieben Figuren unfreundliche Masken, Augen, wo sie gar nicht hingehören, ähnlich den Figuren von „PAAR-TV“. Die Künstlerin malt akkumulativ, vom Kleinen zum Ganzen hin, vom Detail zur fertigen Form, welche dann etwas ganz anderes „bedeuten“ kann als die Summe aller Teile. Und immer wieder begegnet man Imponderabilien, wirksame, aber unwägbare Einflüsse oder Stimmungen: „Landporträt“ ist menschliche Figur und Landschaft in einem. Versible Übergänge vom Belebten zum Unbelebten auch im „Großen Wald“, sogar das Häusermeer ihrer Stadtlandschaften bekommt lebendige Form, Gesicht und Auge. Nur muss man hier nicht immerzu Kopf stehen. Ambivalenz als poetisches Prinzip der Farbformungen, Beseelung von allem, was dem Aufgeklärten nur als „totes Zeug“ erscheint. Ja, in diesen Welten musizieren Geister. Hier wird „fröhlich gefischt“ und geschöpft, hier sind die Farben satt und üppig, die Form stets mutagen. Es darf sogar gekauft werden. Zu sehen im Alten Rathaus, Alter Markt, bis 24. Juli, 10-18 Uhr
Gerold Paul
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