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Kultur: Kopiert, zerschnitten, neu geklebt

Avant-Klezmer von Paul Brodys „Sadawi“ beim Völkerball im al globe

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Avant-Klezmer von Paul Brodys „Sadawi“ beim Völkerball im al globe Wer Paul Brody von Tango Toy her kennt, fühlte sich vielleicht am Samstagabend im al globe entfernt an die CD „South Klezmer Suite“ erinnert. Die Elektronik-Klänge eines Brandon Seabrock (New York) in Verbindung mit Eric Rosenthals Schlagzeug (Boston), Jan Hermerschmidts Klarinette und Martin Lillichs Bass (Berlin) aber ließen einen völlig anderen Sound entstehen. Glaubte man anfangs Klezmer zu hören, sah man sich schon bald einer Art Jewish Jazz des 21. Jahrhunderts gegenüber, der aus verschiedenen Quellen schöpft. Sadawi (arabisch „Tanz des Glücks“) ist ein relativ neues Projekt des in San Francisco geborenen und seit Jahren in Berlin lebenden Trompeters Paul Brody. Im vergangenen November präsentierte die Formation bereits ihr erstes Hörprodukt: „Kabbalah Dream“. Nun hatten sie sich zur Record Release-Party ihrer zweiten CD „Beyond Babylon“ erneut auf den Weg nach Potsdam gemacht. Erklärtes Konzept der Band ist es, im Gegensatz zum Arrangieren traditioneller Klezmermusik, sich von neuen Stücken anderer Avantgarde-Klezmorim wie z.B. David Krakauer inspirieren zu lassen. Nach eigenen augenzwinkernden Aussagen transkribiert Paul Brody zuerst die Stücke seiner Kollegen, um sie dann etliche Male zu kopieren, auseinander zu schneiden und in Teamwork neu zusammenzukleben. Was dabei herauskommt, wird von manchem „New Klezmer“ genannt und hat auf dem „Radical Jewish Culture“-Label Tzadik eine Heimat gefunden. Trotz dieses ziemlich brachial klingenden Verfahrens entstehen nicht nur raffinierte Strukturen, sondern auch sehr eingängige Melodien, etwa in „Holy Man´s Hum“ oder in „Timepeace“, in dem auf der CD als special guest auch Alan Bern am Akkordeon zu erleben ist. In „An Eye For a You“, ein ursprünglich für Theater geschriebenes Stück mit bewegter Geschichte und mehreren Titeln (u.a. Song der Gefangenen; Schwangerschaftslied; Einsam in Moskau), klang auch die klassische Musiksprache in der für die CD nicht nur rhythmisch veränderten Fassung an: Das Stück erhebt sich aus einem Praliné von Bass-Feature, ehe das vom Banjo übernommene Thema über die Klarinette zur Trompete gelangt. Inmitten der lauten Elektro-Klänge schien plötzlich Bach ins Gedächtnis gerufen zu werden. Leider findet sich das Stück nur in Kurzform und nicht so erhebend ausgekostet auf der CD. Abgesehen von den inzwischen schon erwarteten musikalischen und sprachlichen Witzen Paul Brodys kitzelte ein Bass-Banjo-Duo ein Schmunzeln heraus, als Brandon Seabrock sein Instrument mit einem Bogen ausreizte und ungewohnte Klänge hervorlockte. Im Anschluss an das Konzert fand eine electronic Jam Session mit DJ Frank Bredow statt. Für eine angenehme Überraschung sorgte gegen Mitternacht der junge Trompeter Donat Kubrinski. Er brachte sich mit sehr ruhigem, sensiblen Jazz ein. Paul Brody stieg auf einen herausfordernden Triller ein und formte gemeinsam mit Kubrinski ein wunderbares Trompeten-Duo. Janina Wurbs

Janina Wurbs

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