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Gar schwungvoll ist das Akrobatenleben. Frédéric Arsenault (l.) und Alexandre Fray bei der Arbeit.

© Musacchio/Ianniello/fabrik

Von Dirk Becker: Körperliche Beziehungsfragen

Alexandre Fray und Frédéric Arsenault mit „Appris par Corps“ in der „fabrik“

Stand:

Am Anfang haben sie sich nicht geschont und radikal ihre Grenzen ausgereizt. Sie haben sich in ihr Stück mit einer Wucht gestürzt, die sie selbst überrascht hat. Das ist nicht ohne Spuren geblieben, hat ihre Körper geschunden. Doch sie haben immer wieder „Appris par Corps“ auf die Bühne gebracht, sich daran abgearbeitet. Vier Jahre liegt es nun schon zurück, dass Alexandre Fray und Frédéric Arsenault zum ersten Mal gemeinsam dieses mal sanfte, dann wieder unbändig wilde, gelegentlich auch aggressive Zwiegespräch zweier menschlicher Körper zur Aufführung gebracht haben. Und je öfter sie sich hineingestürzt haben, mittlerweile über 180 Mal, umso klarer, verständlicher wurde ihnen das eigene Stück. Am heutigen Samstag und morgigen Sonntag sind die beiden Franzosen Alexandre Fray und Frédéric Arsenault mit „Appris par Corps“ in der „fabrik“ zu erleben.

Es mag paradox klingen. Da entwickeln zwei Akrobaten gemeinsam ein Stück, in dem sie sich zum Teil komplett von dem lösen wollen, was sie für ihr Handwerk gelernt haben. Ein Stück, in dem sie die Beziehung zweier Akrobaten thematisieren, sich aber nicht auf das augenscheinlich Beeindruckende, das vordergründig Körperliche beschränken wollen, sondern das Dahinter, die Beziehung dieser beiden Künstler, sich selbst offenlegen wollen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren erarbeiten Alexandre Fray und Frédéric Arsenault „Appris par Corps“, das zuerst gar nicht als ein Stück, sondern als ein Probieren und Austesten jenseits ihrer akrobatischen Grenzen gedacht war. Und dann gehen sie damit auf die Bühne und verstehen das eigene Stück nicht einmal ganz.

Wer sich Ausschnitte von „Appris par Corps“ im Internet anschaut, dem fällt schwer zu glauben, dass da zwei Künstler aufeinander losgehen, die selbst noch genug offene Fragen zu diesem Stück haben. Umso mehr, wenn man weiß, dass dieses mal federleichte, dann so explosive, die Schwerkraft ignorierende Treiben nichts Spontanes hat, keine Improvisation ist. „Appris par Corps“ ist bis ins Detail durchchoreografiert. „Nicht durchchoreografiert, niedergeschrieben“, sagt Alexandre Fray am gestrigen Freitag im gemeinsamen Gespräch mit Frédéric Arsenault im Café der „fabrik“.

Durch den Körper gelernt, heißt, frei übersetzt „Appris par Corps“. Gleichzeitig ist es ein Wortspiel, in dem die französische Wendung für Auswendiglernen, durch das Herz gelernt, anklingt. Und es ist genau das, Körper und Herz, was Alexandre Fray und Frédéric Arsenault offenlegen wollen. Was sie in den zwei Jahren für „Appris par Corps“ akribisch entwickelt haben, die Figuren, die Bewegungsabläufe, ist von den beiden niedergeschrieben worden. Und jedes Mal, wenn sie das Stück wieder vor Publikum zeigen, ist es, als würden sie diesen, ihren Text neu lesen und jedes Mal ein wenig mehr verstehen, sagt Frédéric Arsenault.

Da sind also zwei Akrobaten, die sich selbst Träger und Flieger nennen, wechselnde Begrifflichkeiten für die Rollen, die sie im artistischen Körperwerfen spielen. Und es ist eine sehr persönliche Beziehung, die die beiden verbindet. Eine Beziehung, in der Vertrauen eine große Rolle spielt. Es braucht nur ein paar Ausschnitte aus „Appris par Corps“, dieses Werfen, Stürzen und Auffangen, um zu verstehen, wie viel Vertrauen das sein muss.

Akrobatik ist eine Kunst, die, weil sie vom überwältigenden Effekt, lediglich vom Staunen über das Gezeigte lebt, oft nur auf dieses Oberflächliche reduziert werde, so Frédéric Arsenault. Was alles dahinterstehe, werde vergessen. Und gegen diese Vergesslichkeit richtet sich „Appris par Corps“, wo das menschliche Miteinander in all seinen Facetten nicht nur gezeigt, sondern bloßlegt wird. In den ganz starken, den feinen, zärtlichen Momenten, wie den mal kräftigen, mal vorsichtigen Umarmungen, werden in „Appris par Corps“ sogar diese kleinen Wunder, diese Schönheiten sichtbar, die nur im Mikrokosmos zweier Menschen möglich sind.

In den vergangenen Jahren hat „Appris par Corps“ auf Alexandre Fray und Frédéric Arsenault oft wie ein Spiegel gewirkt. Sie beide, zwei so unterschiedliche Typen, spielen sich in diesem Stück selbst. Und es gab Momente, da haben sie dieses Selbstspielen übertrieben, wurden zur eigenen Karikatur. Sie haben die Schwierigkeiten ihrer künstlerischen Beziehung erfahren, dass die berufliche Nähe schnell zu Spannungen in der Freundschaft führen kann. Sie haben in den Jahren sich und auch das Stück besser kennengelernt, haben gelernt, sich und „Appris par Corps“ immer besser zu verstehen. Und immer wieder erleben sie bei ihren Auftritten, wenn es dabei zu den Umarmungen kommt, das in diesen Momenten alle Spannungen, alle Missverständnisse aufgehoben werden, dass „Appris par Corps“ mehr ist als nur ein Stück, dass sie immer und immer wieder auf die Bühne bringen.

Alexandre Fray und Frédéric Arsenault sind mit „Appris par Corps“ am heutigen Samstag, 20 Uhr, und am morgigen Sonntag, 16 Uhr, in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse zu erleben. Der Eintritt kostet 14, ermäßigt 10, bis 16 Jahre 2 Euro

Dirk Becker

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