Kultur: Kosmos einer babylonischen Welt-Sicht
Wohin geht die Reise des Menschen? Woher kommt er?
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Wohin geht die Reise des Menschen? Woher kommt er? Was geschieht mit der Seele auf dieser Tour durch die Welt im Kleinen und Großen? Wie macht er sich verständlich? Kann er verstehen, wird er verstanden? Für diese und viele weitere Fragen suchte das Ensemble cornucopia Antworten in einem szenischen Konzert, das am Sonnabend im T-Werk uraufgeführt wurde und das zu einer klangintensiven Reise in kosmopolitischer Zusammenschau wurde.
Reizvoll und vielfältig in der Beantwortung allein schon durch die weltverstreute Herkunft der Musiker, die ihre Wurzeln und Weltsichten als Inspirationsquellen nutzten, dabei den babylonischen Ansatz von einst umkehrten: Das Aufeinandertreffen verschiedener Nationalitäten wurde als Chance verstanden, Musik als mögliche gemeinsame Sprache zu nutzen. Was dabei herauskam, war die Erkenntnis, dass Metropole wie Provinz in ihrer wirkungsvollen Brüchigkeit keine abendländischen Phänomene sind, dass der Umgang mit der Zerbrechlichkeit göttlicher Schöpfung in ihrer Makro- wie Mikrostruktur weltweit ein komplizierter Prozess ist: voller Gefahren, Unwägbarkeiten, mit Fehlern behaftet wie erfüllt mit Glücksmomenten und friedvollem Genuss.
Das Ensemble cornucopia schüttete sein klingendes Füllhorn mit Inspiration, Professionalität und Freude am gemeinsamen Musizieren reichlich aus. Grenzgänge zwischen traditioneller und artifizieller, Alter und Neue Musik verbanden die Klangwelten von Orient und Okzident, präsentierten Fremdartig-Bekanntes in einem packenden Zusammenspiel von Klang, Raum und Bewegung in der auf Sparsamkeit ausgerichteten Regie von Jens-Uwe Sprengel und in der reduziert-klaren Ausstattung von Heide Schollähn. Es waren „musikalische Miniaturen“ angekündigt, doch es entstanden wahrlich beeindruckend-kraftvolle Klanggemälde, die einem in Ohren, Kopf und Herz drangen.
Nach Symeon Ioannidis verwirrendem babylonischen Sprachengewirr in „O jeron“ folgte Paul Mertens „Urbs Aquensis“ im Spannungsbogen zwischen gregorianischem Gesang und schroffem rhythmischen Unterwanden der Streicher. Die dirigierte Improvisation von Wu Wei faszinierte als Entführung in eine Klangwelt, die ihre Wurzeln in der traditionellen Musik Chinas hat, diese weiterführt in offene Klangstrukturen und als deren organische Bestandteile abendländische instrumentale wie vokale Klangäußerungen erschienen. Taner Akyols Baklan-begleiteter Gesang „Yildiz Dagi“ erklang voll Melancholie und Trauer, während Antonis Anissegos in „Balon“ für Sampler, Klavier, Bläser und Streicher eine bedrohliche Klangdichte generierte, die die Kehrseiten zivilisatorischer Entwicklung thematisierte. Tim Florence fasste mit „Into my heart“ einen fast altertümlichen Wohlklang, doch auch hier keine heller Strahl, eher Resignation. Nach aller Melancholie, Zerrissenheit und Spannung ließ schließlich Georgios Sfiridis mit seiner „story seven“ einem schier unbändigen Glücksgefühl freien Lauf, dabei die Intensität des intellektuellen Anspruchs des Abend noch erhöhend. Unwiderstehlich in der rhythmischen Versuchung, dem Klangspiel aller Instrumenten, mit Wasserflaschen und Trillerpfeife, entließ cornucopia das Publikum nach intensiver Klang reise tröstlicherweise nicht ohne Hoffnung auf Babylonisch-Zukünftiges.Christina Siegfried
Christina Siegfried
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