Kultur: Krach wegen der Chor-Finanzierung
Chorleiter Ud Joffe und Björn O. Wiede erheben Vorwürfe. Es geht um die Vergabe der Gelder
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An Chören mangelt es in Potsdam nicht. Ihre Vielzahl wird gern angeführt, um zu beweisen, wie lebendig die Musiklandschaft dieser Stadt ist. Hunderte von Menschen singen hier regelmäßig in Chören und Singvereinen. Allein die sechs großen sinfonischen Chöre führen jährlich mehrere Konzerte mit Orchestermusikern und Gastsolisten auf. Ein kulturelles Angebot, von dem andere – vergleichbar kleine – Städte nur träumen können.
Grund zu jubilieren also? Nicht ganz: „Die Chorszene in Potsdam ist nicht gesund“, sagt Ud Joffe, Leiter der Potsdamer Kantorei. Er fürchtet – drastisch gesprochen – eine Austrocknung der Potsdamer Chöre. Unterstützung bekommt er von Björn O. Wiede vom Nikolaichor. „Wir kämpfen bis zum Halse ums Überleben“, sagt der israelische Dirigent Joffe, er spreche damit auch für den Oratorienchor und die Singakademie. Es gebe für die Chöre keine Planungssicherheit mehr, da keine verlässliche Förderung. Außerdem erfolge die Bewilligung – oder die Ablehnung – der Gelder durch die Stadt oft zu kurzfristig. Am vergangenen Sonntag nun setzte Joffe ein deutliches Signal: Zu der Aufführung seines Chors von Bachs h-moll-Messe in der Friedenskirche schreibt er in einem an die Konzertgäste gerichteten Brief von den Missständen in der Stadt.
Die Potsdamer Kantorei habe in diesem Jahr ihre niedrigste Förderung für die chorsinfonische Arbeit seit 2001 erhalten, heißt es da. Mit 20 000 Euro hat die Stadt die zwei Aufführungen von Bachs Mammutwerk gefördert, in den Jahren zuvor bekam Joffe jeweils deutlich mehr finanzielle Unterstützung durch die Stadt. 2014 waren es noch 31 000 Euro, im vergangenen Jahr immerhin noch 24 000 Euro für die jeweils zwei Konzerte. Insgesamt gibt die Stadt in diesem Jahr 107 000 Euro für die Chorförderung aus, im Jahr 2014 waren es noch 110 500 Euro.
Doch es geht Joffe und auch Wiede nicht nur ums Geld – sondern darum, wie sich qualitativ und planungssicher arbeiten lässt. Dies sei derzeit nicht mehr gegeben. Joffe nennt in dem Papier konkret Andrea Palent, Geschäftsführerin des Nikolaisaals. Ihr sei es gelungen, so heißt es in dem Papier weiter, die bisherige Förderstruktur zu schwächen „und sich selbst als Vorsitzende der „Chor-Jury“ zu installieren. Mit zwei weiteren Kollegen ihrer Wahl habe sie für die Förderung der Potsdamer Choraufführungen Kriterien entwickelt, die den Interessen der Potsdamer Chöre widersprechen und deren künstlerische Freiheit sehr einschränken.
Zum Hintergrund: Bis zum Jahr 2013 entschied ein Gremium – das Forum Chorsinfonik –, zusammengesetzt aus jeweils einem Vertreter der sechs großen geförderten Ensembles sowie einem Vertreter aus Kulturausschuss und Landesmusikrat, über die Vergabe der städtischen Gelder. Dann aber wurde Kritik an dem Verfahren laut: Es würde nur die eigenen Chöre bevorteilen, hieß es. Nach Beratungen im Kulturausschuss sollte dem Forum eine Jury externer Experten zur Seite gestellt werden.
Natürlich habe es große Schwierigkeiten in den vergangenen Jahren gegeben, bestätigt Wiede. Nicht zuletzt bekam sein Chor weniger Geld als etwa Joffes Potsdamer Kantorei. Doch die Lösung wäre eine professionelle Moderation gewesen, ist Wiede überzeugt. Er habe nichts gegen eine Bewertung durch eine Jury, aber die Beschlüsse dazu seien nicht transparent. Und: Mit Andrea Palent als Vorsitzende wäre es, als entschiede Tobias Wellemeyer vom Hans Otto Theater über die Geldervergabe an die freie Theaterszene in der Schiffbauergasse.
Wie nachvollziehbar aber sind die Beschlüsse, die Zusammensetzung der Jury, und auch die Kriterien, nach denen die städtischen Mittel an die Chöre verteilt werden? „Jährlich findet eine Ausschreibung für die Förderung chormusikalischer und chorsinfonischer Projekte statt, auf die sich alle Akteure der Chormusik bewerben können“, schreibt die Stadt. Die Ziele der Förderung seien zudem klar formuliert: die Stärkung der Interessen der Potsdamer Chöre und die Sicherung der Chortradition, sowie die Kooperation und Vernetzung der Akteure untereinander.
Andrea Palent will sich zur Arbeit der Jury nicht äußern. Nach eigenen Aussagen ist sie nie Vorsitzende gewesen. Es habe vor drei Jahren persönliche Gespräche mit der Kulturdezernentin Iris-Jana Magdowski (CDU) und der Leiterin der Kulturverwaltung, Birgit Katharine Seemann gegeben, sagt sie, „ob ich bei der Chorjury als Fachfrau mitmache. Weiter haben wir dazu nichts besprochen.“
Die Stadt wiederum sagt auf PNN–Anfrage: „Die aktuelle Jury besteht aus dem wiederum durch den Kulturausschuss berufenen Journalisten Klaus Büstrin, der Sprecher der Jury ist, und weiterhin Frau Palent. Ein drittes Jurymitglied wird in Kürze berufen werden.“ Unklar bleibt dennoch, wer der Jury vorsitzt, weder Klaus Büstrin noch Andrea Palent wollen sich näher dazu äußern.
Dass eine Verwaltung sich fundierte Fachkenntnis einholt, ist eigentlich gang und gäbe. Allerdings ist Andrea Palent gleichzeitig Geschäftsführerin des Nikolaisaals und damit als Konzertveranstalterin direkte Konkurrenz für die Chorleiter. Wettbewerb hält zwar Björn O. Wiede durchaus für positiv, doch könne Konkurrenz nur unter gleichen Voraussetzungen funktionieren. Und die seien beim Nikolaisaal nicht gegeben. Bisherige Sitzungen der Jury seien nicht protokolliert worden, so Wiede und Joffe. Besonders ärgert aber Wiede, dass auf die Einwände gegenüber der Jury in den vergangenen drei Jahren nicht reagiert worden ist.
Andrea Palent sieht Joffes Schreiben als „üble Nachrede“. „Und das im kirchlichen Raum, der davon frei sein sollte.“ Sie sei traurig darüber, sagt sie, dass dies in einer kultivierten Stadt wie Potsdam geschehe. Björn O.Wiede hingegen wertet den Brief an die Konzertgäste als „völlig sachlich und harmlos“. Auch Joffe betont, dass er den Streit auf eine sachliche Ebene lenken will. Er sagt aber auch: „Wir haben aber keinen Partner, mit dem wir diese Fragen klären können.“
Die Verwaltung stellt sich hingegen hinter Andrea Palent. „Die Angriffe von Herrn Joffe auf Frau Palent sind außerordentlich bedauerlich. Die Landeshauptstadt ist froh, eine kompetente und erfahrene Musikwissenschaftlerin für die ehrenamtliche Arbeit in der Chorjury gewonnen zu haben. Die von Herrn Joffe erhobenen Vorwürfe entbehren jeder Grundlage.“ Die Ergebnisse der Jury-Beratungen würden regelmäßig einmal im Jahr im Ausschuss für Kultur und Wissenschaft vorgestellt und abgestimmt.
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