Kultur: Kräftig Salz in die Suppe
Von wegen zu viele Köche verderben den Brei: Die Jazzkantine im Lindenpark
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Von wegen zu viele Köche verderben den Brei: Die Jazzkantine im Lindenpark Woher die Begeisterung für den Kochtopf kommt, ist schwer nachvollziehbar. Ob die neun Herren der Jazzkantine nun passionierte Hobbyköche sind oder als Knirpse mit vom Erstaunen weiten Augen die unerklärlichen Machenschaften am mütterlichen Herd beobachteten, das Kulinarische war und ist allzu offensichtliches Bestandteil der Jazzkantine aus Braunschweig. Der Bandname, Titel einiger Alben wie „Heiß und fettig“ oder „Geheimrezept“, in der Jazzkantine ist musikalisch ein schwungvolles Experimentieren mit allerlei Zutaten, wie sie im Lindenpark anschaulich unter Beweis stellten. Das nicht risikofreie Vermischen von Hip- Hop, Jazz, Soul und anderen Musikstilen, dem sich die Jazzkantine verschrieben hat, fand seinen Ursprung, wie so oft, jenseits des großen Teichs. Zu den bekanntesten und erfolgreichsten Vertretern dieser Crossovertaktik gehört wohl noch immer das Projekt Jazzmatazz um den Rapper Guru. Doch die Verbindung von HipHop und Jazz im Schonwaschgang, kann allzu schnell als allzu Weichgespültes daherkommen. Der Monotonie der Beats zu entfliehen und im Jazzgewirr frischen Zunder zu suchen, endet oft in den Untiefen des Mainstreams. Auch die Jazzkantine hat in ihrer fast zehnjährigen Geschichte das Seichte gestreift. Doch spätestens nach der Zusammenarbeit mit der Bigband des Hessischen Rundfunks und dem aktuellen Album „Unbegrenzt haltbar“, ist wieder haufenweise frisches Gemüse in die hauseigene Küche gekommen. So wurde der Abend nicht nur zum Ohren-, sondern auch zum Augenschmaus. Denn marktwirtschaftliche Erfahrungen haben den Musikern gezeigt, dass man seine Schnittchen nicht mehr nur auf schmucklosem Papptellerchen präsentiert. Mit weißem Anzug in stilsicherer Bühnendekoration ging es durch das Programm, dass die soultriefende achtköpfige Besatzung der Soulounge auf wunderbare Weise eröffnet hatten. Treibende, funklastige Bläsersätze, schnurrende Wurlitzer, Gitarrenspiel zwischen Wes Montgomery und George Benson, dazu die Plattendreherkünste aus „Airknee''s Blues Basar“ und die beiden Rapper Cappuccino und Tachiles. „Es ist Jazz“, „Respekt“, der Hit vom Debütalbum, und „Krankenhaus“, druckvoll servierte die Jazzkantine ihr mehrgängiges Menü. Dazwischen Instrumentalausschweifungen die nie zu reinem, selbstverliebten Gedudel verkamen und Cappuccino, der in die Rolle des knallharten Puff Baba schlüpfend, einen prachtvollen Südanatolen mimte, der zwischen „korrekt“ und „fett“ radebrechend, jedes Klischee der testosterongeblähten HipHop-Kultur erfüllte. Und weil die Jazzkantine ähnlich wie Jazzmatazz für jedes Album verschiedene Gastmusiker verpflichtet und manche von diesen auch bei ihren Konzerten nicht missen wollen, hatten sie dieses Mal Pat Appleton, Sängerin von DePhazz dabei. Mit kraftvoller und weittragender Stimme war sie ernstzunehmender Gegenpart zu den nicht gerade zurückhaltenden Instrumentalisten der Jazzkantine. Und mit ihrer feinfühligen Interpretation von Hoagy Carmichaels Klassiker „Georgia on my mind“ griff sie noch ganz tief in die Standardkiste. Die Jazzkantine zeigte sich in Hochform, wenn sie in voller Besetzung agierte. Somit muss die alte Weisheit von den vielen Köchen, die angeblich den Brei verderben, in diesem Fall zumindest, ad absurdum geführt werden. Denn für die Chefköche der Jazzkantine gilt das Gegenteil: Je mehr, umso besser. Dirk Becker
Dirk Becker
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