Kultur: Kräftig unter einer leisen Staubschicht „Wiedergelesen“: Trakl und Fühmann bei Wist
Zwei Große! Der eine, ein österreichischer Expressionist, der an den Erlebnissen während des Ersten Weltkriegs und am Rauschgift zerbricht, hinterlässt ein wenn auch schmales, doch sehr bedeutsames Werk.
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Zwei Große! Der eine, ein österreichischer Expressionist, der an den Erlebnissen während des Ersten Weltkriegs und am Rauschgift zerbricht, hinterlässt ein wenn auch schmales, doch sehr bedeutsames Werk. Davon kann der andere, der den Zweiten Weltkrieg mitmacht und heute einer der wenigen DDR-Dichter ist, die überdauern werden, nach der ersten Begegnung nicht mehr lassen. Als Franz Fühmann im Mai 1945 auf ein Gedichtbändchen von Georg Trakl stößt, beginnt für ihn eine geradezu lebenslange Auseinandersetzung mit dessen Werk, die schließlich, 1982, kurz vor seinem Tod, in dem autobiografisch-essayistischen Buch „Vor Feuerschlünden. Erfahrung mit Georg Trakls Gedicht“ gipfelt, welches zeitgleich auch in Westdeutschland, unter dem Titel „Sturz des Engels“ publiziert wird. Doch selbst die Neuauflage von 1993 wird wohl bald wieder den Weg in die Antiquariate finden, wie so manch starker Text, den es sicher lohnt, mal dem Vergessen zu entreißen.
Carsten Wist hat eine simple wie gute, motivierende Idee: Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums seines Literaturladens möchte er den Feierabend zusammen mit Freunden und Kunden fortan regelmäßig mit dem „Wiederlesen“ von Texten ausklingen lassen, die nicht (mehr) dem literarischen Zeitgeist verpflichtet sein können, die schon längst Literatur geworden, aber unter der leisen Staubschicht noch immer kräftig geblieben sind. Und Fühmanns Trakl-Essay ist da ein gewagter Auftakt am Dienstagabend, ganz schöner Tobak, freilich. Die gut 15 Gäste scheinen zu wissen, was sie erwartet, und doch werden nicht alle von ihnen die gut anderthalb Stunden durchhalten.
Der Vorleser indes legt sich ins Zeug, ist ein wahrer Meister seines Fachs. Kurt Merkel, dieser angenehme Herr und Freund des Hauses Wist, hat als Lehrer für deutsche Literatur in Italien und Finnland sich offenbar angewöhnt, Texte mit einer besonderen Wucht und einer selten erlebten Theatralik vorzutragen, dank der die Erschütterung fast spürbar wird, die Fühmann einst beim Lesen von Trakl überkam. Dessen schwermütige, dunkle und symbolisch so sinnreiche Verse erzählen von Verfall und Untergang, und Fühmann hat inmitten dieser Überwältigung, im Zusammenstoß mit Leben und Lyrik Trakls Parallelen, vor allem aber seinen eigenen dichterischen Sinn entdeckt. Fühmanns eigene Biografie schiebt sich nun immer wieder über die Gedichte Trakls, versucht dieselben so zu erklären. Bekanntes wird brillant vorgetragen: „Untergang“, „Ruh und Schweigen“ oder der „Psalm“. Im Moment der Ergriffenheit werden die politischen Ideale von gestern und heute allesamt fragwürdig, fallen sie ab und Fühmanns Diskurse geraten zum letztlich erfolgreichen Befreiungsversuch, dessen Nachvollzug jedoch die Zuhörer zu vorgerückter Stunde sicher bisweilen arg fordert. Womöglich hätte es da auflockernd gewirkt, statt der durchweg großen Selbstbefragung Fühmanns, jene von ihm nacherzählte Kurzbiografie Trakls einzufügen, die sicher mit zu den schönsten Abschnitten in „Vor Feuerschlünden“ zählt. Hingegen gelingt es Merkel zum Ende hin recht gut anzudeuten, weshalb und wie Fühmann, als Dorn im Auge der Oberen der DDR-Kulturpolitik, unermüdlich für die mundtot Gemachten und Zensierten eintreten und mithin der große Ziehvater von Uwe Kolbe und entscheidende Förderer von Wolfgang Hilbig werden konnte.
Misst man es am Applaus, ist Franz Fühmann einer von denen, die bleiben und heute noch „wiedergelesen“ werden. Da fiel es Carsten Wist sicher leicht, weitere Große anzufügen. Elias Canetti und Anton Tschechow sind nur zwei, mit denen diese Lesereihe nächstens fortgesetzt werden soll. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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