Kultur: Kraftvoll- tröstende Gesänge Gedenkkonzert zur Zerstörung von Potsdam
Die Wunde ist immer noch sichtbar. Auf der Orgelempore von St.
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Die Wunde ist immer noch sichtbar. Auf der Orgelempore von St. Nikolai fehlt nach wie vor jenes berühmte Sauer-Instrument, das zusammen mit dem Gotteshaus beim Bombenangriff der Royal Air Force am 14. April 1945 auf Potsdam zerstört wurde. Wer wird als zweiter Parsifal mit heilendem Speer „den Phantomschmerz der Potsdamer endlich stillen“, fragt Oberbürgermeister Jann Jakobs in seinen Worten zum Gedenken an die Tragödie vor 63 Jahren?! Am Vorabend des Jahrestages lud die Nikolaikirchengemeinde zu einem Konzert unter Leitung von Björn O. Wiede in die Nikolaikirche, wo mit der „Petite Messe solenelle“ von Rossini der Toten von damals gedacht wurde.
Trost zu spenden und die Seele zu trösten verspricht die kleine feierliche Messe, eine „letzte Todsünde meines Alters“, wie Rossini in einem ironisch gemeinten Postscriptum vermerkt hatte. Die Anforderungen an die Ausführenden sind beträchtlich. Besonders für den Chor, der in der Kunst des A-cappella-Gesangs versiert sein muss, weil nicht alle Teile sich Unterstützung durch zwei Klaviere und Harmonium erfreuen können. Die Solisten sollten im Belcantogesang geschult sein, denn in den Solonummern geht es opernvirtuos richtig „zur Sache“.
Zu den aufgewühlten Klängen des von Wiede gespielten Bechstein-Flügels (auf ein zweites Instrument wurde verzichtet) und unterstützt durch ein historisches Konzertharmonium (gespielt von Jörg Strodthoff) stimmt der Nikolaichor in seiner kammerchorartigen Besetzung sehr zart und weichgetönt das „Kyrie“ an, was der Bitte um Erbarmen eine passende Intimität schafft. Zu ihrer Unterstützung sind die vier Solisten den jeweiligen Chorgruppen beigestellt, singen sie die entsprechenden Parts stimmführend mit. Im Fugensingen allerdings zeigt sich der Nikolaichor etwas zaghaft und ziemlich unsicher. Vielleicht fehlt aber auch nur die ordnende, anspornende Hand von Wiede, der aber weitgehend mit Tastenarbeiten ausgelastet ist. Wenn er dirigieren kann, klingen die Stimmen, wie im a cappella vorgetragenen „Sanctus“, klar und sicher. Seiner kammermusikalischen Lesart, mit der er die Feinheiten der Stimmenverläufe erkennbar werden lassen will, stehen dann keinerlei Hindernisse im Weg.
Das Solistenquartett versucht sich dieser Absicht einzuordnen. Johanna Krumin (Sopran) führt eine ausladende, den Leidenschaften verpflichtete, non legato geführte Stimme vor, der es freilich sowohl in der „Crucifixus“-Arie als auch im „O salutaris“-Gesang weitgehend an Geschmeidigkeit mangelt. Dafür unternimmt sie fanfarenartige Höhenausflüge. Die Altpartie weiß Bhawani Moennsad ausdrucksvoll zu gestalten, die die Fülle des Wohllauts mit der Kraft der Leidenschaft nicht nur im „Agnus Dei“ in Einklang zu bringen versteht. Eher zurückhaltend und kaum strahlend stimmt Friedemann Büttner die eigentlich tenorale Bravour erfordernde „Domine Deus“-Arie an. Im Vierergesang ist seine Stimme sicherer und höhenglänzender. An Durchschlagskraft und Tiefe fehlt es dagegen dem Bariton Sebastian Bluth für den Basspart, der dem „Quoniam tu solus Sanctus“-Bekenntnis trotz lyrischer Mittellage und leichter Höhe manches an Glaubwürdigkeit schuldig bleibt. Schade, dass das instrumentale „Preludio religioso“ ebenfalls vom Klavier und nicht vom (durchaus möglichen) Harmonium vorgetragen wurde, sodass sich Jörg Strodthoff aufs unterstützende Accompagnieren und Notenumblättern (für Björn O. Wiede) beschränkt. Nach stillem Gedenken folgt anhaltender Beifall.
Peter Buske
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