Kultur: Kratzen im Trommelfell
Das britische Multitalent Cosmo Jarvis zeigte, wie sich rüpelhaftes Benehmen mit romantischer Attitüde vereinbaren lässt
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Zart hüpfen die melodischen Töne der Mandoline durch den Saal. Unbeschwert und leicht. Wie ein kleines Kind, das nicht mal weiß, was Seeräuberei bedeutet. Dann ein männliches Gegröle: „Yo-ho, Sebastian. Let’s go far away. Somewhere where the captain won’t be mad.“ Die ständigen Schlagzeugbeats klopfen so eindringlich, als wollten sie den schwulen Piraten aus dem Lied unterstützen in seinem Kampf gegen die Urteile der Piraterie. Der Erzähler dieser Geschichte ist Cosmo Jarvis, der am vergangen Freitag im Waschhaus nicht nur mit seinen Texten, sondern vor allem mit seinem facettenreichen Erscheinen überraschte.
Es gibt wenig, was der britische Nachwuchskünstler Harrison Cosmo Krikoryan Jarvis nicht kann. Mit 24 Jahren hat er bereits über 100 Lieder geschrieben und mehr als 60 Kurzfilme gedreht, in welchen er regelmäßig in verschiedenste Rollen schlüpft. Damit sichert er sich internationale Anerkennung, vor allem jedoch jene des weiblichen Geschlechts. Eine blonde, junge Frau aus der zweiten Reihe hat glänzende Augen und kann sich kaum zurückhalten, auf die Bühne zu stürmen, das Multitalent in den Arm zu nehmen und nie mehr gehen zu lassen. Es ist anzunehmen, dass sie weiß, dass seine Band und er schon einen Abend später in Leipzig spielen werden.
Schon der zweite Song seines zweistündigen Programms ist der eingängige und wohl auch einer seiner bekanntesten Ohrwürmer „Love this“. Damit spielt er seinen Joker erstaunlich früh. E-Gitarrist und Bassist rahmen Cosmo Jarvis ein. Immer wieder trifft sein Blick den seines jüngeren Bruders, der hinter ihm ausgelassen auf das Schlagzeug einhämmert, sodass schon mal ein Drumstick zerbricht. Die musikalische Kommunikation der Brüder harmoniert sehr gut, gemeinsam zählen sie die Lieder ein, die sie dann mit demselben Notenschlag beenden.
Dann ertönt der markante Refrain „You don’t know how much I love this“. Die Stimme von Cosmo Jarvis klingt einfühlsam und zärtlich. Nach einem begeisternden Applaus aus dem nicht ganz vollen Konzertraum kann sich die junge Frau nicht mehr gegen ihre Gefühle wehren. „Oh my god, you are so cute“, platzt es aus ihr heraus. Stille. Cosmo Jarvis lächelt kurz, führt dann seinen Auftritt fort. Neue Gitarre, neues Lied. Viel Zeit für Songkommentare zwischen den Liedern nimmt er sich nicht. „Another song“, kündigt er bescheiden das nächste Stück an. Kurz muss er noch sein Plektrum auf dem Boden wiederfinden, dann stöpselt er den Verstärker in seine mit Klebeband geflickte Gitarre.
Dann ist er plötzlich der Rüpelhafte. Einer, der ins Mikrofon rülpst, als wäre es ein musikalischer Höhepunkt, um dann auf den Boden zu spucken, als gehörte es zu einer guten Performance. Auch auf seinen aktuellem Album „Think Bigger“ schafft Cosmo Jarvis immer wieder den Sprung von sanften, oft melancholischen Independent-Songs zu rockigeren, wilderen Takten. Auf der Bühne reißt er den Mund so weit auf, dass man es kaum glauben kann. Um mit der lautstarken, instrumentalen Begleitung seiner Band mitzuhalten brüllt er nun seine Texte. Die gerade noch so zart klingende Stimme kratzt im Trommelfell.
So abwechslungsreich wie seine Musik, so individuell und inspirierend sind auch andere künstlerische Projekte des jungen Songwriters. Nach dem Konzert ist er für lockere Gespräche und Fotos bereit. Vollkommen verschwitzt zeigt er sich seinem Potsdamer Publikum – ein richtiger Pirat eben. Friederike Haiser
Friederike Haiser
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