Kultur: Kreuzzug gegen das Bürgertum
Gastspiel von „Die fetten Jahre sind vorbei“
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Dass die fetten Jahre vorbei sind, ist ja spätestens seit Hans Weingartners gleichnamigen Film aus dem Jahr 2004 ein Satz, der den Niedergang des Kapitalismus mantrahaft beschwört. Nun ist bisher ja noch nicht viel passiert, was auf die bevorstehende gesellschaftliche Umwälzung hinweisen könnte – die Notwendigkeit des Neuanfangs hat sich dennoch in manchen Köpfen manifestiert. Weingartners Groteske über desillusionierte Großstadtrevolutionäre auf dem Kreuzzug gegen das Bürgertum diente auch als Vorbild für die Stückentwicklung.
Denn „Die fetten Jahre sind vorbei“ ist auch der Titel des Theaterstücks des Ensembles „die bühne“, eines der ältesten deutschen Studententheater. Seit 60 Jahren gibt es die Gruppe unter der Schirmherrschaft der Technischen Universität Dresden, locker 100 Vorstellungen organisieren die Studenten dabei pro Jahr. Am Samstag ist die Produktion, die den Untertitel „Scheiße, was machen wir denn jetzt?“ mit flapsiger Vulgarität vor sich her trägt, im „nachtboulevard“ des Hans Otto Theaters zu sehen.
Was von manchen vielleicht als Schockstarre interpretiert wird, wird von „der bühne“ als Endzeitstimmung verkauft: „Der Kapitalismus blüht, der Staat hat das Monopol, das Klima ist im Arsch, die Demokratie außer Kraft – die Welt steht am Abgrund.“ Die suggerierte Hilflosigkeit des Untertitels zieht sich dabei durch das ganze Stück, zumal ja gar nicht erst nach Lösungen gesucht werden soll, sondern die Momentaufnahme im Zentrum der Handlung steht: Wie im cineastischen Vorbild werden die Biografien der Darsteller mit denen der Charaktere Jule (Kristina Pflugbeil), Peter (Florian Geissner) und Jan (Robert Richter) verflochten, die mit Mitte 20 gut genährt und in relativem Wohlstand aufgewachsen sind. Um das Bürgertum zu verunsichern, steigen sie in fremde Villen ein: Sie stehlen nichts, verrücken jedoch Möbel und hinterlassen Botschaften wie „Sie haben zu viel Geld. Die Erziehungsberechtigten“. Dabei hat Jule nach einem von ihr verschuldeten Auffahrunfall Schulden bei dem Millionär Hardenberg (Andreas Matthus), in dessen Villa sie auch einsteigen – und von ihm erwischt werden. Daraufhin entführen sie in einer Verzweiflungstat Hardenberg – und stellen fest, dass er auch nur ein Mensch mit einer bewegten Geschichte ist, die bis in die DDR zurückreicht. In ein Leben zwischen Diktatur und Revolution.
Da schimmert sie doch schon in der Handlung durch, diese Essenz, dass sich das Monstrum Kapitalismus hinter einem menschlichen Antlitz verbirgt. Wie weit die Wandlung schließlich reicht und ob sich Menschen für eine gute Sache ändern können – das zu erklären kann nicht die Aufgabe des Theaters sein, wohl aber die entsprechenden Impulse zum Nachdenken zu geben.
Regisseur Peter Wagner ist übrigens kein Unbekannter in Potsdam: Der Absolvent der Babelsberger Hochschule „Konrad Wolf“ war von 2005 bis 2009 am Hans Otto Theater engagiert, mittlerweile ist er freischaffend – eine Rückkehr, für die er keine Türen aufbrechen muss. old
„Die fetten Jahre sind vorbei“ am heutigen Samstag um 22 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse. Eintritt kostet 6 Euro.
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