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Kultur: „Krieg war für ihn der größte Unfall“
Rolf Hosfeld über seine Tucholsky-Biographie, die am Sonntag in der Villa Quandt Buchpremiere hatte
Stand:
Herr Hosfeld, „Ein deutsches Leben“ ist der Titel Ihrer Biographie über Kurt Tucholsky. Ist es vor allem das politische Leben des Schriftstellers und Publizisten Tucholsky, das Sie darin beleuchten?
Mir geht es vor allem darum, die Vereinnahmung von Tucholsky infrage zu stellen. Das heißt ja nicht, dass er nicht politisch war. Tucholsky war vielleicht nur in einem anderen Sinne politisch als ihn viele seiner Fans gerne sehen wollen.
Was genau meinen Sie mit dieser Vereinnahmung?
Es gibt diese Tucholsky-Klischees. Einmal Tucholsky der Friedenskämpfer, was gern mit dem Zitat „Soldaten sind Mörder“ belegt wird. Dann ist da der linke Tucholsky im Sinne seiner kritischen Veröffentlichung „Deutschland, Deutschland über alles“ oder Tucholsky der harmlose Chansondichter, den man aus den Liedern von Hildegard Knef kennt. Aber dieser Mann war natürlich viel differenzierter. Und ein Zitat wie „Soldaten sind Mörder“ steht ja nicht für sich, das ist ja Bestandteil einer Satire. Das muss man als Teil eines literarischen Essays lesen, der durchaus sehr witzige Komponenten enthält. Er war eine ernst zu nehmende Figur des literarischen und publizistischen Lebens in der Weimarer Republik.
Tucholsky hatte Jura studiert, das erste Staatsexamen abgeschlossen. Was gab für ihn den Ausschlag, sich dann doch für eine journalistische und schriftstellerische Laufbahn zu entscheiden?
Er hat ja schon relativ früh angefangen zu schreiben und mit 17 seine ersten Satiren bei Ullstein veröffentlicht. Zwischen dem Abschluss seines Studiums und seiner Promotion hat er dann 1912 seine Erzählung „Rheinsberg“ herausgebracht. Und es war für ihn nicht unwichtig, dass dieses Buch recht erfolgreich wurde. Dann kam der Kontakt mit Siegfried Jacobsohn von der Wochenzeitung „Die Schaubühne“, später dann „Die Weltbühne“ zustande. Da entschied er sich, kein zweites Staatsexamen zu machen, sondern nur seine Doktorarbeit abzuschließen. Dadurch konnte er offiziell gar nicht mehr eine juristische Laufbahn einschlagen.
Was die publizistische Laufbahn Tucholskys betrifft, spielte auch Potsdam eine nicht unerhebliche Rolle. Tucholsky und Potsdam, war das nur eine reine Arbeitsbeziehung?
Ja, erst einmal schon, denn Jacobsohn hat immer in Potsdam gedruckt, sowohl „Die Schaubühne“, als auch die spätere „Weltbühne“. „Die Schaubühne“ wurde in der Gutenbergstraße gedruckt, da, wo heute die Stiftungsbuchhandlung ihr Geschäft hat, später dann in der heutigen Hegelallee, in der Nähe vom Nauener Tor. Man traf sich dann im Café Rabien, dem heutigen Café Heider, um Korrektur zu lesen und einiges mehr. Darum war Tucholsky natürlich regelmäßig in Potsdam. Aber es war nicht nur Arbeitsort, Potsdam gefiel ihm, Sanssouci hatte ihm sehr gut gefallen. Aber darüber hinaus hatte er keine weiteren Verbindungen zu dieser Stadt.
Ein prägendes Erlebnis im Leben von Tucholsky war der Erste Weltkrieg, den er als Soldat miterlebt hatte.
Es war für ihn das prägende Erlebnis. Krieg war für ihn die Zerstörung zivilisatorischen Zusammenlebens schlechthin. Und das betrifft den Ersten Weltkrieg in ganz besonderer Weise. Was Tucholsky auszeichnet im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, auch vielen intellektuellen Zeitgenossen ist, dass er diesen Hang zum Atavismus, diese Freude am Atavismus nie geteilt hat. Andere hatten den Krieg mit Begeisterung empfangen. Für Tucholsky war das dagegen der denkbar größte Unfall, der der menschlichen Kultur widerfahren konnte.
War Kurt Tucholsky in dieser Hinsicht ein viel sensiblerer Mensch, der bestimmte zeitgenössische Entwicklungen viel weitsichtiger und schärfer einschätzen konnte?
Zumindest kann man sagen, dass die Ablehnung des Atavismus bei ihm elementar war. Atavismus heißt ja auch, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Diese Haltung hat ihn dann auch im Gegensatz zu Leuten wie Karl Liebknecht gebracht und auch in den späten 20er Jahren zu seinen Konflikten mit den Kommunisten geführt. Aber Tucholsky hat auch sehr früh erkannt, dass die eigentliche Bedrohung der Weimarer Republik nicht von links, sondern von rechts ausging. Sein Idealbild waren Menschen, die er mit dem Schlagwort „Der ewige Zivilist“ bezeichnete. Eine Art Traumbild, in dem er sich wiederfinden konnte.
Der Aufstieg der Nationalsozialisten in den 30er Jahren, der Untergang der Weimarer Republik: Waren das Entwicklungen, die dazu führten, dass Tucholsky immer mehr verstummte, sich desillusioniert zurückzog und den Glauben an die Menschen verlor?
Ob er von den Menschen schwer enttäuscht war, den Glauben an sie verloren hatte, ist schwer zu sagen. Mit Sicherheit war er von den Deutschen enttäuscht, weil sie nicht in der Lage waren, die Wiederholung des Unheils aufzuhalten. Die Gewaltspur, die der Erste Weltkrieg in die Gesellschaft getragen hatte, die hörte nicht nur nicht auf, die verschlimmerte sich sogar noch. Das hatte Tucholsky früh erkannt, denn es war zu spüren an dem wachsenden Antisemitismus in der Weimarer Republik, am Revanchismus, einer gewissen militaristischen Grundhaltung und anderen Entwicklungen. Er konnte damals noch nicht wissen, was passieren würde. Aber er wusste, dass es einen neuen Krieg geben würde.
Was war für Sie neben den anfangs schon erwähnten Vereinnahmungen ausschlaggebend, eine neue Biografie über Tucholsky zu schreiben?
Meiner Meinung nach spielt das Zentralerlebnis des Ersten Weltkrieg generell in unserer Erinnerung eine viel zu geringe Rolle.
Weil der Zweite Weltkrieg mit seinen Ausmaßen bis heute einfach alles überstrahlt?
Ja, und nur wenige Leute sind sich dessen bewusst, was das für ein zivilisatorischer Einschnitt gewesen ist. Ohne den Ersten Weltkrieg hätte es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben, nicht die Teilung Europas und den Kalten Krieg. Da ist Tucholsky natürlich ein Seismograph für diesen Einschnitt. Ich finde, da ist er eine sehr wichtige Figur. Nicht nur in seiner Publizistik, sondern in den Gegenutopien, die er in seinen populären Geschichten wie „Rheinsberg“ oder „Schloss Gripsholm“ oder auch in vielen seiner Chansons entwirft. Durch Tucholsky kann man sehr viel von der damaligen Gemengelage verstehen, weil er einer der wenigen war, die am sensibelsten und am klarsten ihre Zeit gesehen haben.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Tucholsky. Ein deutsches Leben. Biographie“ von Rolf Hosfeld ist dieser Tage im Münchener Siedler Verlag erschienen und kostet 21,99 Euro
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