Kultur: Krise? Welche Krise?
Gedanken zu Europa auf der Medientagung M100
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Gedanken zu Europa auf der Medientagung M100 Der Ton hat sich geändert. Fast hätte man sich vom Vizepräsident der Europäischen Kommission Günther Verheugen einlullen lassen. Europa stecke zwar in der Krise, allerdings nicht die Politik sondern die Bevölkerung. Was wir nun bräuchten, sei stärkere Integration, Bürger die sich als Europäer fühlen: „Die Idee der europäischen Integration war die beste, die wir haben konnten.“ Doch der Hausherr des Potsdamer Schlosstheaters Hartmut Dorgerloh hatte es zur Eröffnung des Medien-Colloquiums „M100 Sanssouci“ schon leise anklingen lassen, Europa sei in unseren Zeiten eben nicht mehr „sans souci“. Die energische Replik der britischen Journalistin Melanie Phillips ließ dann keinen Zweifel mehr daran, dass die harmonischen Zeiten vorbei sind. „Europa besteht aus vielen verschiedenen Kulturen, es gibt keine europäische Identität“, entgegnete sie Verheugen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass jemand für Europa sterben würde. Zudem sei die Suche nach einem „Common Sense“ undemokratisch: „Die Länder müssen ihre eigenen Werte, Gesetze und Institutionen behalten.“ Soweit der Blick von der Insel. Doch auch als sich die Medienmacher und -experten dann in die fürstlichen Gemächer der Potsdamer Schlösserlandschaft zum Gedankenaustausch zurückzogen, blieb der Ton skeptisch. Der Moderator der Gesprächsgruppe „Crisis“, Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, ließ zunächst vor dem geistigen Auge der Runde im Marmorpalais EU-Vize Verheugen auf sein Rennpferd „Europe“ steigen. Nach einer guten Stunde sah man dann „Europa“ im eiligen Galopp das Weite suchen. Ihn habe die europäische Idee zwar immer fasziniert, sagte Döpfner. Als Stärken Europas nannte er dessen Unterschiedlichkeit, die Demokratie und die Freiheit. „Doch die Frage ist, ob die Länder der EU genug Freiheit haben.“ Sein Fazit: „Gute Europäer sind die, welche die EU am stärksten kritisieren.“ Überregulierung und Arroganz seien derzeit die größten Problemen in der EU. Der Spanier Miguel Angel Cortès von Telemadrid hatte in der Runde betont, dass es gerade eine falsche Politik sei, von der die Krise ausgehe. Sein Kollege Paul Lendvai aus Wien machte einen Fortschritt der EU von den Wahlen in Deutschland und Frankreich abhängig. Sei es doch untragbar, dass heute Deutschland mit Russland bessere Kontakte pflege als mit den USA. Charles Moore vom Daily Telegraph in London stellte schließlich die Frage, wieso ein Beamter in Brüssel den Menschen in Birmingham oder Berlin sagen soll, wie lange sie zu arbeiten haben. Mary Dejevsky vom Londoner Independent zeigte sich Europa stärker zugewandt. Die Krise stecke in den Köpfen der politischen Führer und nicht der Bürger, die europäische Idee sei sehr real. Überhaupt waren es neben den Deutschen und Osteuropäern die Frauen, zumeist jüngeren Alters, die sich in der Runde für Europa aussprachen. Und irgendwann hörte man dann auch ein gelassenes „Crisis? What Crisis?“ über die Tafel hallen.
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