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Kultur: Kritische Zeitreisen

Hannes Wader mit Bärenstimme im ausverkauften Nikolaisaal

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Bettina Wegener war gerade da, Wolf Biermann kommt bald ins Hans Otto Theater. Mit Hannes Wader, dem klampfenden Urgestein, der am Montag seinen großen Auftritt im völlig ausverkauften Nikolaisaal hatte, kann das junge Jahr 2007 für Potsdam schon jetzt als das „Jahr der Liedermacher“ gelten. Die Konjunktur des politischen Liedes kann kein Zufall sein, trifft sie doch auf eine auffällig vehemente und auch überraschend jung daher kommende Gegenliebe.

Im Konzerthaus in der Wilhelm-Staab-Straße stehen jene, die schon Wader-Songs bei den Ostermärschen in den Achtzigern mitsangen, neben ihren Kindern dicht um den CD-Tisch im Foyer, auf dem nicht nur die neueste Einspielung „Mal angenommen“ von 2006 ausliegt. Auch die großen Platten „7 Lieder“ von 1972 oder „Der Rattenfänger“ von 1974, aus jenen fernen Zeiten, in denen Wader selbst oder seine Lieder Proteste anführten, sind noch immer begehrt.

Dreißig, bald vierzig Jahre sind mehr als eine Generation und eine halbe Ewigkeit. Die Gefahr, die im Vergessen liegt, wenn man sich auf diesen Zeitspannen bewegt, ist groß. Vielleicht macht das einen Teil der Huldigung aus, die Wader von den Siebenhundert im Saal erfährt. Dass er als Liedermacher seine Aufgabe sieht, die Erinnerung wach zu halten. Das Griffbrett seiner Gitarre ist die Leiste, auf der er die Zeiten wandert. Seine ausgefuchste Fingertechnik verhilft ihm dazu, leicht die Bögen zwischen der Naturlyrik der Romantiker und seinem eigenen Leben zu spannen. „Folkpicking“ nennt man das Anreißen der Saiten mittels spitz zulaufenden Fingerringen. Waders Gitarrenbegleitung schreitet um Einiges flotter daher als seine Texte; sie perlt über die Stufen der erzählten Erinnerung und trägt seine Texte darüber hinweg, denn Waders Verse können auch einmal in längere Nebensatzkonstruktionen gekleidet sein. Wie deutsch das klingt, würde Hannes Wader, der nichts mehr ablehnt als Nationalismus, wohl ungern hören. Trotzdem, der Barde, der mit tiefer Bärenstimme loslegt, und in der hohen Lage zu dem neigt, was man schön Deutsch auch „Schmettern“ nennen könnte, ist ja so etwas wie eine nationale Institution. Hannes Wader, jetzt fast fünfundsechzig Jahre alt, ist auf seine spröde, nordische Art das verkörperte Gewissen eines stets problematischen Landes.

Gleich zu Beginn versucht Wader sich seines eigenen Mythos“ zu entledigen. Sein Lied „Heute hier, morgen dort“ hat sich in seiner ergreifenden sprachlichen Schlichtheit, seiner einprägsamen Melodie und seiner pragmatischen Weltsicht vom Autor längst verselbständigt. Fast jeder kennt es, nur wenige verbinden es mit Wader. Das hier besungene Unstete des Lebens, die Veränderung, die ein Teil davon ist und das ewige Wandern, können als hymnische Programmatik des Sängers aufgefasst werden. Dass Wader hier, wie auch in seinen romantischen Liedern über einen „Hölzernen Brunnen“, an dessen „kühlem Grunde“ Freunde ein unvergessenes Mahl einnehmen, oder über einen „Weißdornbusch“, unter dem Wader Zauberer Merlin schnarchen hört, ziemlich nah am deutschen Idealismus ist, haben auch Rechtsextreme wahrgenommen. Nazis singen Wader, den Kommunisten und Friedensaktivisten?! Gegen eine Vereinnahmung wehrt sich Hannes Wader fassungslos mit einer gesungenen Erklärung. Hat es seinen Liedern an Deutlichkeit gefehlt? „Seiner Feinde muss man sich erwehren“, kommt er zum kämpferischen Schluss, er „rede nicht mit Nazis“. Der Saal teilt diese Meinung und applaudiert hier besonders Rücken stärkend.

Die kritischen Zeitreisen des Hannes Wader reichen zurück bis in die Zeit des Soldatenkönigs: „Oh König von Preußen“, ein Anti-Militarismus-Song über die Qualen eines Soldaten unter Friedrich-Wilhelm I., wird vom Potsdamer Publikum natürlich besonders warmherzig aufgenommen.

Die schwierigste Unternehmung in die Vergangenheit ist für Hannes Wader jedoch die eigene Familiengeschichte, deren sozialdemokratische Wurzeln er im Stück „Familienerbe“ in epischer Länge vertont hat. Sie reicht von dem Vorfahre, der im 19. Jahrhundert aufgrund der Sozialistengesetze verfolgt wurde, bis zum Vater, dessen Haltung gegen einen alten Nazi Wader immer bewunderte. Hier ist Wader ganz bei sich: Politische Geschichte, die von persönlicher nicht zu trennen ist. „Ich möchte, dass die Erinnerung an sie nicht so schnell verblasst“, singt er mit warmem Timbre und meint: Im Guten wie im Schlechten.

Matthias Hassenpflug

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