Kultur: Krokodile und Gaspistolen
Helge Timmerberg erzählte und las im Waschhaus
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Wenn man Helge Timmerbergs Reiseromane liest, sind diese voller ausladender Beschreibungen, die perlend lebendig geschrieben sind, aber trotz ihrer Scharfsinnigkeit immer ein bisschen belehrend daherkommen. Das ist der eine Timmerberg; der andere Timmerberg saß am Mittwochabend im flatterigen weißen Hemd und mit schulterlangen Haaren als Späthippiefigur auf der Bühne des Waschhauses. „Ich bin ein bisschen schwerhörig“, erzählt er und schraubt an seinem Hörgerät. „Und ich vergesse immer alles.“
Timmerberg ist mittlerweile 61 und auch ein wenig reisemüde, „überreist“, wie er selbst sagt. Aber irgendwie ist er immer noch der jungenhaft grinsende Märchenonkel, dem der Schalk im Nacken sitzt und der sich kichernd über den Namen der Thailändischen Insel Phi Phi amüsieren kann. Mitgebracht hat er sein neues Buch „African Queen“, aber das ist ihm gar nicht richtig bewusst, so scheint es zumindest. Aus einem Buch vorlesen? Nö, das ist nichts für Timmerberg.
Also grinst er und redet schnodderig, während alle kichern, kommt vom einen aufs andere. Wenn man die Bücher gelesen hat, kennt man die Geschichten zwar schon, aber so, wie Timmerberg sie noch mal erzählt, fesseln sie aufs Neue. Erzählen kann er nämlich richtig gut. Zum Beispiel davon, was man machen muss, wenn man von einem Krokodil angegriffen wird. Da gebe es drei Regeln: Erstens darf man sich nicht beißen lassen (Gekicher im Publikum). „Doch, der Biss ist so schmerzhaft, dass man in ein Schocktrauma verfällt.“ Dann solle man versuchen, auf den Rücken des Krokodils zu kommen. Wenn man den Kopf mit den Ellbogen runterdrücke, zwinge man es in seine natürliche Ruhestellung. Und wenn man es dann noch schafft, ihm die Augen zuzuhalten – dann schlafe es mit viel Glück sogar ein. „Schlaf, Schnappi, schlaf“, singt Timmerberg.
Nach gut einer Stunde hat sich Timmerberg immer noch erfolgreich davor gedrückt, aus dem Buch vorzulesen. „In Köln habe ich fünf Stunden geredet“, sagt Timmerberg, „nach vier Stunden haben sich die ersten beschwert, wann ich denn endlich anfange zu lesen.“ Allerdings macht es auch nichts, man klebt sowieso an den Lippen dieses großartigen, selbstironischen Vollblut-Geschichtenerzählers. Etwa sein Ausflug nach Pjöngjang in Nordkorea: Dort gebe es nur ein einziges Hotel, das komplett leer sei – das für Ausländer. Abends sei es dann abgesperrt. „Das war gut gemeint, man kann nämlich abends nichts mehr machen. Man kann auch tagsüber nichts machen.“ Ach so, eigentlich wolle er ja von Afrika erzählen. Dann erzählt er aber doch, wie er als 17-Jähriger versuchte, nach Indien zu trampen, mit einer Gaspistole im Gepäck, die ihm aus väterlicher Fürsorge mitgegeben wurde und die ihm – als Pazifisten und Vegetarier im Hermann-Hesse-Fieber – eine Menge Ärger bescherte.
Und irgendwann liest er dann doch, versteckt hinter einer Brille und mit ausladenden Gesten begleitet. Und natürlich kann nur etwas Gutes dabei herauskommen, wenn man einen so begnadeten Rhetoriker durch die Weltgeschichte schickt. Timmerberg schafft es nämlich irgendwie, in seine oberflächlich unterhaltsamen Beschreibungen kleine Falltüren einzubauen, die einen direkt in philosophische Abhandlungen fallen lassen – ohne aufdringlich zu sein. Und als er zum Schluss zur Gitarre greift und in Lagerfeuermanier tatsächlich „House of the Rising Sun“ spielt, dann geschieht etwas Seltsames: Es wirkt authentisch. Und genau damit hebt sich Timmerberg von denen ab, die nur von Fernweh träumen.
Oliver Dietrich
Helge Timmerberg: „African Queen. Ein Abenteuer“. Rowohlt Verlag, 302 Seiten, 19,95 Euro
Oliver Dietrich
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