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Kultur: „Krump ist Denken in Bewegung“

Heddy Maalem über die besondere Wucht des Krump, den er auf die Bühne der Tanztage bringt

Stand:

Herr Maalem, zu den Einflüssen Ihrer Stücke – wie auch „Eloge du puissant royaume“, mit dem Sie am heutigen Mittwoch die Tanztage eröffnen – werden immer wieder traditionelle afrikanische Tänze gezählt. Ist das nicht ein typisch europäisches Klischee, dass es den einen afrikanischen Tanz gibt?

Beim Krump, der in L.A. entstanden ist und um den es im aktuellen Stück geht, kann man sich auf jeden Fall vorstellen, dass die ersten Menschen in Afrika so ähnlich getanzt haben. Aber es geht im aktuellen Stück auch um Klischees: Ich wollte nicht originär schwarze Tänzer dafür, ich wollte einfach Krump-Tänzer aus der Pariser Banlieue – und da hat es sich eben ergeben, dass sie alle dunkelhäutig sind. Damit wird die Frage der Identität automatisch aufgeworfen – die französische Jugend ist eben heute nicht mehr nur blond und blauäugig. Unter den Kulturschaffenden gibt es oft eine übergroße politische Korrektheit, das werte ich letztlich auch als Beweis dafür, dass unser Umgang miteinander eben nicht locker und natürlich ist. Die Krump-Tänzer aber widersprechen den Klischees auf ihre Art.

Inwiefern?

Krump ist immer noch ein Tanz der Straße, der eigentlich aus dem Hip-Hop kommt. Der ist allerdings inzwischen zum Mainstream geworden. Krump ist hingegen noch nicht kommerziell vereinnahmt. Das ist die reine Energie und so kraftvoll, dass man gezwungen ist, nur die Körper zu beobachten.

Aber was irritiert am Krump?

Krump ist noch in einem Stadium, in dem es für seine Tänzer notwendig ist, sich auszudrücken. Sie tanzen, um zu überleben. Da gibt es eine Parallele zum Butoh, der in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Einfluss von Hiroshima entstand. Anders als in anderen, etablierten Kunstformen, wo es meist ein Konzept dessen gibt, was man tut, gibt es im Krump noch keine großen Diskurse. Die Tänzer versuchen nicht, andere zu überzeugen. Krump ist Denken in Bewegung.

Die Tänzer haben Sie diesmal buchstäblich auf der Straße gecastet.

Das stimmt, das Stück ist aber kein reines Krump-Stück, es ist natürlich meine Interpretation dieser jugendlich geprägten Tanzkultur. Mir hat es gefallen, dass diese Jungen und Mädchen ihre eigenen Kämpfe, ihre eigene Philosophie haben. Die sind natürlich Teil des Stückes. Auf die relativ kleine Krump-Szene von etwa 200 bis 300 Tänzern in Paris bin ich durch eine befreundete Dokumentarfilmerin gestoßen. Ich war sehr berührt von der Intelligenz und Offenheit diese Menschen, die allen Klischees, die man über die Jugendlichen der Banlieues hat, widersprachen.

Es ist ja ein Unterschied, auf der Straße zu tanzen oder mit einem Choreografen. Wie war es, mit ihnen zu arbeiten?

Fast leichter als bei normalen Stücken, das einzige Problem war, dass sie nicht immer pünktlich waren. Meine Herangehensweise ist es aber immer, die Tänzer anzuleiten, auf ihren Körper zu hören.

Welchen Hintergrund haben Ihre Tänzer?

Die meisten von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Im Krump geht es – fast wie in der Psychoanalyse – darum, das Ich in sich zu suchen. Deshalb haben die Tänzer alle Spitznamen, eine Art zweite Identität. Das ist unglaublich intelligent, wie ich finde, denn damit gehen sie natürlich mit ihrer eigenen Geschichte um. Und natürlich haben sie Enttäuschungen und Ablehnung erfahren, wie alle Jugendlichen. Die Krump-Tänzer aber prangern nicht nur die äußeren Einflüsse an, sondern suchen auch in sich nach Mustern, sie arbeiten an sich.

Die Tänzer entwickeln eine Art Avatar?

Ja, manchmal sogar mehrere. Einer unserer Tänzer hat zwei Charaktere – einen schrecklichen und einen netten.

Wann ist der Krump entstanden?

In seiner aktuellen Form vor etwa 15 Jahren, er ist eine Art Weiterentwicklung des Clowning, das um 1989 in Folge der L.A. Riots entstand. Aber jetzt gerade verändert sich auch der Krump – von der ursprünglich sehr rohen, kraftvollen Technik hin zu mehr Virtuosität. Ich bedauere, dass die Rohheit dabei etwas verloren geht.

Woher kommt dieser Wandel?

Fast jede Tanzform hat diese rohen Ursprünge – denken Sie an den Flamenco, bei dem man auf den Boden stampft. Dann entwickeln sich die Techniken weiter, meist wird es kommerzieller. Einer unserer Tänzer hat gerade in einem Werbespot für Diesel mitgewirkt.

Oft liest man, der Krump habe eine große Spiritualität. Worin genau liegt die?

Eine große Frage. Vielleicht geht es um die Verbindung mit wesentlichen Kräften, die uns antreiben. Für mich ist jeder Tanz spannend, der versucht, die Verbindung mit dem Boden zu nutzen, um sich zu erheben – wie eben im Flamenco oder im Krump. Aber Spiritualität ist natürlich mittlerweile ein klischeehafter Begriff.

Sie selbst haben als Boxer angefangen und mit Aikido – beides sind auch sehr rohe, kraftvolle Formen, über die Sie zum Tanz gekommen sind.

Mir ging es darum, die Härte zu erfahren, die das Leben anzubieten hat, die Direktheit. Nicht dieses Herumschlängeln, wie man es in Frankreich liebt. Im Aikido gibt es eine Technik, die heißt: Die Opferung des Körpers. Darum geht es mir auch im Tanz: sich mit dem ganzen Körper hineinzuwerfen in die Sache.

Das Interview führte Ariane Lemme

Weiter Informationen zu den Tanztagen unter www.fabrikpotsdam.de

Heddy Maalem wurde in Algerien geboren, hat eine französische Mutter und kam übers Boxen und asiatische Kampfkünste zum Tanzen. Mit fast 40 Jahren gründete er 1989 seine Compagnie.

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