
© Göran Gnaudschun
HOT-Jugendclub: Kühles Heimweh
Premiere von „flucht nach vorn“ in der Reithalle
Stand:
Einschüchterung – darstellen oder selbst spüren lassen? Immerhin ist die Einschüchterung ein zentrales Element, wenn man eine Collage zum Thema Flucht vollständig gestalten will. Folgerichtig beginnt das Stück „flucht nach vorn“ vom Jugendclub des Hans Otto Theaters auch außerhalb der Bühne; und gewaltig. „Anweisungen sind zu befolgen!“, wird da ins Mikrofon gebellt. Wer sich nicht ausweisen kann, wird aussortiert, ohne Pass kommt niemand rein. Immerhin bedeutet ein Pass mehr Identität als ein Menschenleben.
Am Donnerstagabend hatte das Theaterstück, in dem 27 Jugendliche seit Anfang des Jahres gearbeitet haben, in der Reithalle vom Hans Otto Theater Premiere, unter großem Andrang. Es ist der Versuch on Jugendclub-Leiterin Manuela Gerlach, gemeinsam mit Veronika Zimmer ein Stück zu inszenieren, in der Geflüchtete nicht nur thematisiert, sondern integriert werden. Lasst sie erzählen: Wie läuft so eine Flucht ab, was ist Krieg überhaupt? Die sicher-saturierte Welt wird da gleich zu Anfang auf großer Leinwand mit Kriegsszenarios konfrontiert, die – selbst stumm – zur Begleitung von Louis Armstrongs „What A Wonderful World“ niederprasseln. Der Schrecken selbst wird kühl dargestellt: Tausende Kilometer Fußmarsch, schwimmend neben Ertrinkenden ans Ufer, die Bomben. Und der Heimatverlust: „Was, wenn ich zurückmuss?“, sagt einer. „Ich habe Heimweh. Aber das Land liegt in Trümmern und Terror. Das ist keine Heimat mehr.“
Dazwischen die Karikaturen politischer Debatten, die nur die ganze Hilflosigkeit in Szene setzen, der gegenüber man längst taub geworden ist, die Verlogenheit einer Gesellschaft, die Nächstenliebe nur noch als Schachzug werbewirksamer Publicity in eine Charity-Veranstaltung umwidmet. Und dann ist da noch diese Sehnsucht nach Frieden, die permanent durch die Szenerie wabert. Da ist ein Gruppenbild, in denen alle „Wo sind all die Blumen hin?“ singen, fast schon sarkastisch.
Je länger das Stück andauert, umso mehr Moral lädt es sich schließlich auf; das ist auch nicht zu vermeiden. Aber bevor es sich einer latent vorwurfsvollen Tonlage hingibt – „Die Würde des Menschen ist meistens unantastbar“ - , löst es sich schließlich auf und bietet die längst überfälligen versöhnlichen Töne an, die man als einzigen Ausweg gelten lassen darf. Denn im Tanz verschwinden die Grenzen, die Unterschiede, die Mauern. Und nichts davon ist notwendig.
„flucht nach vorn“ wieder am Sonntag, 29. Mai, und am Samstag, 4. Juni, um 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse.
Oliver Dietrich
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