Kultur: Kultur auf Zeit
Das neue „Atelierhaus Scholle 51“
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Manchmal ist es gar nicht so schlecht, sich der Jüngeren zu vergewissern, ihre Lebensart, Kultur und Gebräuche zu studieren. Man war ja selber mal jung, und Vergleichen hat noch keinem geschadet. Gelegenheit dazu war am spätsommerlichen Sonntagnachmittag in der Geschwister-Scholl-Straße 51. Wo bis vor wenigen Jahren noch der Montessori-Kindergarten den alten „Erdkinderplan“ zu verwirklichen suchte, wo dann zwei Jahre Leer- und Stillstand dem Eigentümer Heiligkreuzgemeinde gar nicht so gefallen wollten, hatte einer plötzlich die zündende Idee, aus dem Leer- eine Art Zwischenstand zu machen. Warum nicht zwei Etagen des Neubaus an Künstler vermieten, bis ein Käufer den Endstand vom „Atelierhaus Scholle 51“ signalisiert?
Am Sonntagnachmittag feierten die neun Mietparteien eine Art Freundes- und Nachbarschaftsfest. In Subterrin und ersten Stock waren wirklich alle Türen offen, Mann und Weib mit Kind und Kegel sammelten sich vorerst auf dem Hof. Pizza stand aus dem hauseigenen Lehmofen bereit, Schmalzstullen mit Sauergurke, Kuchen mit Tee oder Saft, wie man eben unter- und miteinander so feiert. Selbst Späterkommende brachten noch etwas mit. Blues und andere Töne gab es zum Hof- und Atelierfest auch, schließlich fanden zwei Potsdamer Musiker hier das günstige Unterkommen, ein ganz klein wenig unter der Erde.
Wohnen wird in „Scholle 51“ freilich niemand. Daniel Zeller, Mitarbeiter bei der Theatergruppe „Ton & Kirschen“ und Verantwortlicher vom „Stadtteilnetzwerk Potsdam-West“, welches nun ein Büro im Neubau hat, ist so etwas wie der Hausmeister von allem. Die obere Etage bleibe wie das Fronthaus tabu, erzählt er, was sonst zwischen Himmel und Erde sei, teilen sich Malerei und Grafik, Keramik und Theaterpädagogik, Metall und Schauspiel, Schlagwerk und Klavier. Brauchte es mehr Personal, hier ein kleines Theater zu gründen? Etwas Platz für Ateliersuchende wäre auch noch. Mieter und Vermieter haben sich hier auf eine Mindestlaufzeit von einem Jahr geeignet. Verlängert wird, wenn kein Käufer kommt. Falls doch, werde man eben umziehen, kein Problem, sagte Zeller. Jedenfalls ist dieses Projekt auf Zeit weder ein Subventionsobjekt der Stadt, noch mit einem „Bürgerhaus“ zu verwechseln.
So schlenderte man durch die meist erst spärlich eingerichteten Räume, die mal wie ein Atelier aussehen, mal wie ein Büro-Computer-Arbeitsplatz. Die Frauen als Mieterinnen sind deutlich in der Überzahl. An der Tür der Theaterpädagogin Gela Eichhorn im Subterrin klebt ein Plakat mit dem Satz „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ von Karl Valentin. Daneben weist ein Schild auf die Entstehung eines „Malortes frei nach Arno Stern“, also Malen für alle Altersgruppen im leeren, extra „fensterlos“ gemachten Raum, wegen der Ablenkungsgefahr! „Größte Freiheit, keine Bewertung“ schreibt Vanessa Birkner gerade aufs Papier. Oben baut Patricia Vester metallene Lampen mit eingestanzten Sprüchen. Im weitläufigen Flur üben kleine Kinder mit den großen Buchstaben, über dem offenen Durchgang, nahe der Sitzecke, steht geheimnisvoll und ungelöst „treuelinie 66“.
In diesem Haus sei zwar alles im Werden, wie Daniel Zeller sagt, doch verstehen sich die Mieter deshalb nicht als Künstlergruppe. Wer hier arbeitet, hat die Zwanzig längst überschritten. Ideengeber freilich werden immer gesucht, Pläne-Schmiede – auch für die etwas andere, junge Lebens-Art. Es soll ja ein offenes Haus sein. Gerold Paul
Gerold Paul
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