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Abstrakt und bescheiden. Liu Yonggangs kalligraphische Jadefigur „Aiyong“ hat nur Tischformat – im Gegensatz zu den Skulpturen der deutschen Künstler.

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Kultur: Kulturelle Schützenhilfe

West-Östliche Dialoge: Ausstellung bei Falkenstern Fine Art & Atelier Sprotte

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Als Hermann Hesse 1954 gefragt wurde, ob er sich denn ein Leben ohne Kunst vorstellen könne, antwortete er: „Auf einer sehr hohen Ebene – ja.“ Welche er damit meinte, hat der Künstler, Denker und Notateschreiber Siegwart Sprotte – vermutlich Potsdams bedeutendster Maler neuerer Zeit – in diesem Zitat nicht hinterlassen. Möglicherweise könnten da aber einige Objekte auf dem Gelände der „Falkenstern Fine Art & Atelier Sprotte“ mithalten, wo sich derzeit drei chinesische und drei deutsche Künstler raum- und flächengreifend zum vermeintlichen Dialog versammelt haben. Immerhin erreicht Jörg Plickats „Tosion“ am Entree des Stiftungsgeländes zur Katharinenholzstraße eine stattliche Höhe von gut vier Metern, aber auch Volkmar Haase schafft mit seinem aufgefächerten Edelstahlgebilde „Charybdes“ noch Zweimeterzwanzig. Hoch hinauf und immer abstrakt. Die chinesische Seite ist da bescheidener, Liu Yonggangs kalligraphische Jadefigur „Aiyong“ hat nur „Tischformat“. Doch Spaß beiseite, natürlich meinte Hesse etwas ganz anderes.

Europa und Asien, China und Deutschland, Malerei und Skulptur sollen hier miteinander dialogisieren. Der 2004 verstorbene Maler Siegward Sprotte, von ihm sind im Stiftungshaus eine Menge Bilder zu sehen, ist der Brückenbauer. Er hatte ja nicht nur Karl Hagemeister verinnerlicht, sondern in den dreißiger Jahren auch eine lebens- und werkprägende Begegnung mit der japanischen Tuschemalerei. Fan Feng nun, 2002 in Wuhan zum „Herausragenden Talent zeitgenössischer chinesischer Malerei“ gekürt, machte ihn mit einer Ausstellung in seiner Heimat bekannt, im Gegenzug sind Fengs Arbeiten jetzt in Potsdam zu sehen. Sie suchen die Synthese von chinesischer Maltradition und europäisch-impressionistischer Alt-Moderne. Auch bei Yongjie Pang, dem zweiten Maler, findet man eine ganz sonderbare Mischung von traditionellem Motiv und moderner Darstellung. Seine originellen Dick-Madams zum Beispiel entbehren im unbetitelten Bild nicht nur ihres Gesichtssinns, sie sind zum Teil auch gespachtelt. Sehr schöne Arbeiten!

Was die Veranstalter unter „Dialog“ verstanden wissen wollen, erklärte Jörg Plickat, seit 2008 „Ehrenberater des China Sculpture Institutes“, auf der Sonnenschein-Vernissage am Samstag. Bei seinen ersten Begegnungen mit chinesischen Bildhauern sei er auf „reinen sozialistischen Realismus“ gestoßen, mithin auch auf Widerstand, dies zu ändern. Er aber wollte sie unbedingt an die Standards der europäische Moderne heranführen, speziell an das Bauhaus. Inzwischen rühmt er sich, dass seine künstlerischen Azubis mit der Tradition gebrochen hätten und sich zunehmend autonom verhielten. Ein Witz für jeden, der die Zwänge und Forderungen des modernen Marktes kennt. Aber auf einer sehr hohen Ebene kann man natürlich selbst das verstehen. Übrigens darf er als Gastprofessor jetzt sogar eine ganze Klasse studienhalber nach Europa holen.

Nun aber gibt es bereits Stimmen, welche die Abstraktion für ein Auslaufmodell halten. Ein Blick in den weitläufigen Garten, mit Verlaub, zeigt ja auch, wie wenig Neues sich die Modernen in den letzten zehn Jahren einfallen ließen. Mag manche Skulptur da noch so nach Höhe streben, an innerer Größe gewinnt sie dabei selten. Muss man denn wirklich jedes Gebot annehmen, sind denn die abstrakten Spielchen von Materie und Kraft, von Fläche und Linie, von Fülle und Leere, Auf- und Abstieg, Linie und Krümmung, Farben und Form, von Verdrehtem und Verschlungenem nicht irgendwann ausgespielt und verbraucht, und sah man, was da bei Volkmar Haase vertikal aufragt oder sich umschlingend berührt, oder Jörg Plickats kantig-verkanteten „Ambos Mundos“ in ähnlicher Art nicht schon vor dreißig Jahren? Nicht etwa, dass „die abstrakte Kunst“ irgendwann stehengeblieben ist und keiner hat es gemerkt. Unter den Skulpturen gibt es jedenfalls nicht eine mit menschlichem Gesicht – als ob das Gift wäre.

Zwei Kataloge sind verfügbar. Die Überschrift „Ost-West-Dialoge“ legt auch die Reihenfolge der vorgestellten Künstler fest, umgekehrt entsprechend. Das klingt zwar fair, trotzdem fragt man sich bei dieser großangelegten Ausstellung, ob der „Diskurs“ mit dem Fernen Osten nicht etwa zu einseitig, zu europalastig ausgerichtet wird. Kulturelle Globalisierung auf sehr hoher Ebene etwa? Für Jörg Plickat hat der Dialog mit China nämlich gerade erst begonnen. Wie er das sagte, klang es nicht gut.

Bis zum 30. September in der Falkenstern Fine Art & Atelier Sprotte, Katharinenholzstraße 8. Geöffnet: Samstag und Sonntag von 12 bis 16 Uhr oder nach Vereinbarung.

Gerold Paul

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