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Mit der Kurfürstenstraße 11 haben die Studenten einen Ort gefunden, der viele Jahre brach lag. Nun wird sie von oben bis unten mit Kunst bespielt.

© ManfredThomas

Von Almut Andreae: Kunst auf Abwegen

Das Potsdamer Festival „Localize“ setzt Heimat in Bewegung

Stand:

Vibrationen wabern immer lauter werdend durch die hallenden Flure und Treppen im Großen Militärwaisenhaus. Im Zeitlupentempo bahnen sich die fünf sonnenbebrillten Tänzerinnen als Audio Ballerinas ihren Weg von der Spitze der Rotunde bis ganz nach unten. Die Audio-Tutus aus Plexiglas der sich roboterartig bewegenden Frauen sind interaktive elektronische Klangerzeuger. Geschaffen von Benoît Maubrey übersetzen sie die Choreographie in eine laut tösende und allein schon deswegen eindrucksvolle Klangperformance.

So erfrischend unkonventionell, wie am Montagabend mit den Audio Ballerinas das diesjährige Heimatfestival „Localize“ im Rahmen einer ersten Vernissage offiziell eröffnete, liest sich auch das gesamte Veranstaltungsprogramm. Noch bis zum Freitag gibt es an mehreren Orten Potsdams reichlich Gelegenheit, einen Eindruck davon zu bekommen, welche Möglichkeit der Kunst offen stehen, wenn sie den geschützten Raum von Ateliers und Galerien verlässt.

Besonders offenkundig wird es dort, wo man mit Kunst so ganz und gar nicht rechnet: beispielsweise indem man einen Bus besteigt und im nächsten Moment die Wahl hat, porträtiert zu werden, einen Trostkoffer zu durchstöbern, sich über Kopfhörer eine Soundcollage anzuhören oder selbst im wackligen Bus den Pinsel zu schwingen. All dies ist in diesen Tagen auf drei Linien der Havelbusgesellschaft möglich. Auf ausgewählten Strecken werden die Busse zu fahrenden Ausstellungen inklusive mitreisender Potsdamer Künstler. Kunst begibt sich nicht nur hier auf den Weg, wenn es darum geht auszuloten, was für unsere mobile Gesellschaft Heimat eigentlich ist. Welche Fülle an Antworten und Suchwegen diese Frage provoziert, wird im Rahmen des Festivals auf eine Weise herausgekitzelt, die vor allem eins ist: originell, inspirierend und innovativ. Dafür sorgt ein gut eingespieltes Team von Studierenden der Universität Potsdam sowie der Fachhochschule Potsdam, das in ähnlicher Zusammensetzung im Vorjahr das Heimatfestival „Localize“ unter der Leitung von Heiko Christians erfolgreich aus der Taufe hob.

Mit der Kurfürstenstraße 11 haben die Studenten einen Ort gefunden, der viele Jahre brach lag. Nun darf das Haus einmal von oben bis unten mit Kunst bespielt werden. Dabei wurde auch der verwilderte Innenhof urbar gemacht und steht als Aktionsraum zur Verfügung. Anders als im Großen Waisenhaus, wo in erster Linie Fotografie und Malerei ausgestellt sind, wandelt sich das vorübergehende Domizil am Rande des Holländischen Viertels auch zur Bühne für musikalische Acts sowie Sound- und Filminstallationen. Angefangen von einer improvisierten Laborsituation für ein pflanzliches Biotop im Kleinformat bis hin zu dem kleinen Raum, den ein deutsch-französisches Künstlerinnenduo als Home-Base und Wohnstätte für Streifzüge durch den Stadtraum nutzt, erweist sich die Kurfürstenstraße 11 als besonders experimentierfreudiger Veranstaltungsort. Hier kann man in einem „Kondolenzraum“ eigene Gedanken zum Thema Heimat (in Bewegung) an die Wände bringen oder in der ehemaligen Gemeinschaftstoilette der multikakustischen Installation „Klogespräch“ lauschen. Fotos von ehemals besetzten Häusern lenken das kollektive Nachdenken über „Heimat in Bewegung“ noch einmal in eine andere Richtung. So wie überhaupt der ständige Perspektivwechsel auf ein und dasselbe Thema jegliche Anwandlung von Heimattümelei kräftig gegen den Strich bürstet. Stärker als heimatliche Gefühle verweisen die Positionen der teilnehmenden Künstler auf eine permanente Suche und Hinterfragung dessen, was und wo Heimat ist. In einer Welt, in der das Hin- und Hertingeln zwischen den Städten und Kontinenten einhergeht mit wechselnden Identitäten, wo Fluktuation statt Verwurzelung die Lebensform von immer mehr Menschen bestimmt, droht Heimat immer mehr zum Reservat zu werden, wenn nicht zur Utopie. Heimatlosigkeit, Entwurzelung oder der Versuch, seine Heimatgefühle auf verschiedene Lebensstationen zu verteilen, bestimmen viele der gezeigten Arbeiten in beiden Ausstellungen. „Wann sind wir endlich da?“ lautet denn auch der Untertitel des diesjährigen Mottos „Heimat in Bewegung“. Installationen, Raumarbeiten, Audioprojekte, Fotos, Malerei, Collagen, Streetart und vieles mehr beleuchten die „Stop&Go-Mentalität der modernen Nomaden“. Einer von ihnen reist seit Jahren durch alle Herren Länder, ausgestattet mit einer analogen Mittelformat-Kamera. Oft sind es trostlose Realitäten, die er in seinem als Dunkelkammer dienenden Schlafsack ans Tageslicht bringt.

Ausstellung im Großen Militärwaisenhaus, Lindenstraße 34, geöffnet bis zum Freitag von 10-18 Uhr. Vernissage in der Kurfürstenstraße 11, am heutigen Mittwoch, 19 Uhr, dann bis zum Freitag, täglich ab 13 Uhr. Weitere Inforamtionen unter www.heimatfestival.de.

Almut Andreae

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