Kultur: Kunst des Sterbens
Eine Begräbnismusik für Mozart: Chor und Orchester der Universität Potsdam im Nikolaisaal
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Einen würdigeren Abschluss des Mozartjahres hätte es kaum geben können. Bei der Aufführung von Chor und Orchester der Universität Potsdam stimmte alles – Musik und Text, Dramaturgie und Harmonie. Unter der Leitung von Kristian Commichau erklangen Kyrie und Requiem in den Original-Mozart-Fragmenten sowie die „Funeral Music“ von Henry Purcell. Diese Werke weisen nicht nur eine Reihe von verblüffenden Parallelen zwischen ihren Schöpfern und zueinander auf, sondern sie ergänzten einander großartig. Der hoch betagte Professor emeritus Walter Jens und seine Ehefrau Inge trugen dazu sehr passende, tief schürfende Texte über Mozart, den Tod und die „ars moriendi“ (Kunst des Sterbens) vor.
Der „englische Orpheus“, wie Henry Purcell auch genannt wurde, starb nicht nur genau wie Mozart schon mit 36 Jahren, sondern er komponierte ebenfalls in seinem letzten Lebensjahr eine Begräbnismusik. Die Klangkörper der Potsdamer Universität, Cantus Cantabile und Sinfonietta, interpretierten diese tiefernste, von barocken „Vanitas“-Konzepten umflorte „Funeral Music of Queen Mary“ gleichsam als Begräbnismusik für Mozart. Ein einzelner Trommler, der die Stufen des Nikolaisaales hinab- und zum Finale hinaufsteigt, leitet den ehrfürchtigen Trauermarsch ein, der insgesamt viermal erklingt. Drei brillante vierstimmige Chöre „Anthems“ genannt, mit schlichter Orgelbegleitung stehen im Zentrum. Vor allem der mittlere Chor nach dem mittelalterlichen Text „Mitten im Leben sind wir im Tode“ fällt durch eindringlichen, melodischen Wechselgesang zwischen dem Solistenquartett und dem Chor auf.
Mozart, der vor zweihundertfünfzig Jahren geboten wurde, starb am sechsten Dezember 1791 nach rastloser Schaffenszeit. In seinen letzten beiden Lebensmonaten hatte er unter anderem die Premieren seiner Opern „La Clemenza di Tito“ und „Die Zauberflöte“ dirigiert und mehrere Werke komponiert. Sein letztes Werk, das geheimnisvolle „Requiem“ konnte er nicht vollenden, wie auch, hatte er schon voller Todesahnungen seiner Frau gesagt, er schriebe sein eigenes Requiem. Es blieb Fragment, und wurde erst nach seinem Tod von seinem Schüler Xaver Süßmayr vollendet. Meistens erklingt es in dieser Fassung, doch der musikalische Leiter des Abends Professor Kristian Commichau hatte sich für die exklusive Aufführung der Originalstücke entschieden, quasi des reinen, letzten Mozart. Diese kluge Entscheidung sowie die Texte von Walter Jens vertieften das Musikerlebnis und die Kenntnis von Mozarts letzten Lebensumständen ungemein. Der „Campus Cantabile“-Chor und das „Sinfonietta“-Orchester modellieren jedes Stück mit hingebungsvoller Emphase. Die vier Solisten, Doerte Maria Sandmann, Sopran, Ulrike Bartsch, Alt, Friedemann Büttner, Tenor und kurzfristig eingesprungen, sowie Matthias Vieweg brillierten im opernhaften „Tuba mirum“ und dem innigen Bittgesang des „Recordare“ mit gut ausbalanciertem, gleichmäßig wohlklingendem Gesang. Ungemein beeindruckend wirkte die Wiederholung der acht letzten Takte, die Mozart komponiert hat, aus dem „Lacrymosa“ („Tränenreich“). Ein einziger ansteigender Klagefluss, der abrupt endet.
Dass Mozart bei diesem Gesang auf seinem Sterbebett in Weinen ausgebrochen ist, wie überliefert wird, kann man sich danach nur zu gut vorstellen. Als wieder mit düsterem Ernst Trommel und Blechbläser von Mozarts musikalischem Vorfahren Purcell erklingen, wird wohl jedem klar, wer letztlich die Oberhand über das Leben hat. Der Tod, der für Mozart nicht nur der Endzweck des Lebens, sondern der „Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit“ gewesen war.
Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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