Kultur: Kunst in der Baulücke
Das 6. Localize-Festival konzentrierte sich in diesem Jahr auf ein schmales Grundstück in der Gutenbergstraße
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Wie eine goldene Schlange windet sich eine vierzig Meter lange Girlande aus schimmernden Luftballons in den Himmel. „Die Schlange bricht das Starre und den rechten Winkel der städtischen Architektur“, sagt Anja Engel. Sie ist eine der Organisatorinnen des Localize-Festivals, das dieses Jahr zum sechsten Mal in Potsdam stattfindet. Anders als in den vergangenen Jahren, wo großflächige Räume in der Stadt bespielt wurden, konzentrierte sich das Festival am Wochenende auf eine schmale Baulücke in der Gutenbergstraße. „Damit wollen wir auch auf den enger werdenden Raum für die Kultur in Potsdam aufmerksam machen“, so Anja Engel. Viele Kultureinrichtungen sind schon geschlossen oder aufgrund des Potsdamer Baubooms unmittelbar von Renovierung und Schließung bedroht. Anja Engel nennt beispielhaft die „Scholle 51“, ein Kunst- und Kulturzentrum in Potsdam-West, in dem Künstler ihre Ateliers haben und Musiker proben. Auch der Probenraum der Band, in der Anja Engel singt, existiert nicht mehr. Es wird eng für die Kunst in Potsdam, sagt auch Stefanie Müller-Durand vom Localize-Team.
Die Baulücke, in der sich nun zahlreiche künstlerische Installationen, Projektionen und auch eine Bühne für die Musik des Festivals drängeln, zeige einerseits, dass Kreativität auch auf kleinstem Raum möglich ist. Andererseits mache sie auch den Unterschied zu den Möglichkeiten deutlich, die ein Festival hat, wenn es sich auf viele verschiedene Räume großzügig verteilen kann, so Stefanie Müller Durand. Etwa 20 000 Euro hatte der Verein zur Verfügung, um bildende Künstler und Bands einzuladen, Stadtführungen und Workshops für Kinder und Erwachsene zu organisieren und so ein dreitägiges Festival zu veranstalten.
Der Jugend Architektur Stadt e.V. erkundet zunächst mit Kindern die Baulücke und deren Umfeld. Dann bauen die Kinder Modelle, Zeichnungen oder anderes mit den Ideen, die sich bei der Platzerkundung ergeben haben. Um in dem unbebauten Grundstück agieren zu können, mussten auch einige Bäume, die dort schon eine beträchtliche Höhe erreicht hatten, zeitweilig umgesiedelt werden. Nun stehen sie in Plastikeimern auf der Straße. „Es ist ein mobiler Wald entstanden“, sagt Anja Engel. Gleich neben der wandernden Botanik steht das Auto von Gregor Bartsch und Marcus Grosse. Vom Autohimmel hängt eine kleine Leinwand. Auf der ist die Projektion eines Films zu sehen. Eine Dokumentation der Entstehung Eisenhüttenstadts. Zu DDR-Zeiten sei die Stadt auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft worden, erläutern die Filmemacher. Zunächst für etwa 20 000 Menschen geplant, habe die Entwicklung Eisenhüttenstadts eine eigene Dynamik entfaltet. Die Stadt sei stetig weiter gewachsen. Die strikt sozialistische Planung sei dem Gemeinwesen jedoch auch heute noch anzumerken. Fast alles sei fußläufig durch Parkanlagen und über von Grün eingefasste Wege zu erreichen. „Eigentlich eine Idealstadt“, sagt Bartsch. „Ideal 50“ findet sich als Beschriftung neben der Filminstallation.
Einen fantasievollen Weg aus dem schnöden Diktat des rechten Winkels in der Stadtarchitektur weist das Guckkastentheater „Chookas Theatre“ von Jessica Nicholls. Mit Scherenschnitten und Schattenspiel erzählt sie ihre Geschichten. Das liebevolle Arrangement zieht den Betrachter unmittelbar in seinen Bann. Leise Musik ertönt. Vögel huschen in Schattenrissen über die rückwärtig beleuchtete Fläche. Eine Schnecke kriecht langsam eine Grasnarbe hinauf, plötzlich: Pfeile, Bomben, Feuer. Aber dann wird zum Schluss doch alles wieder gut.
Ob die zunehmende Kommerzialisierung deutscher Innenstädte ebenfalls ein gutes Ende finden wird, bezweifelt Tom Korn in seiner Installation „Babel Discount“. Anhand der Fotografien zahlreicher Einkaufsdiscounter hat er Häusermodelle gefertigt, die Korn zu einem hohen, reichlich instabil wirkenden, Turm stapelt. Grau in grau und reichlich gesichtslos türmen sich die Kastenbauten.
Anja Engel hofft jedoch, dass aus der Verdichtung der Innenstadt, die derzeit in Potsdam stattfindet, auch ein kreatives Potenzial erwächst. Kunst und Kultur müsse, wie beim Localize-Festival, weiterhin mitten im Herzen der Stadt stattfinden und für jeden zugänglich sein.
Richard Rabensaat
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