Kultur: Kunst ist Ordnung
Plakate und Malerei von Werner Gottsmann im Alten Rathaus
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Nur ein Selbstporträt ist in der Ausstellung zu sehen, die chronologisch das Schaffen des vor zwei Jahren 80-jährig verstorbenen Künstlers Werner Gottsmann präsentiert. Die „Selbst“ genannte Federzeichnung aus dem Jahr 1974 zeigt eine hohe Stirn, in die die Augen des Mannes, der aus seiner starkrandigen Brille aufmerksam das Objekt der künstlerischen Begierde betrachtet, gleichsam zu wachsen scheinen. Es ist ein wenig so, als bestünde dieser Mensch hauptsächlich aus Augen. Skeptisch und gleichzeitig erkennend ist der Blick, der schräg am Betrachter vorbei zieht, aber man kann sicher sein, dass er das Wesentliche sogleich erfasst.
„Kein Zufall – Kunst ist Ordnung“, lautet ein Zitat Gottsmanns im Katalog – und diese Ordnung kann man allen seinen Arbeiten ansehen.
Menschen sind selten das Sujet seiner Bilder. Landschaften, Stillleben, Orte dominieren. Die Ausstellung präsentiert neben Holzschnitten, Aquarellen und Ölbildern auch Filmplakate und Buchillustrationen. Er, der 1949 aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt ist und als ein Vertreter der Generation genannt wird, die um ihre Jugend betrogen wurde, begann Mitte der 50er Jahre als Gebrauchsgrafiker mit Buchillustrationen und Filmplakaten. Auch für den Klassiker „Ich war 19“ von Konrad Wolf fertigte er das Plakat, das ganz aus der Konzentration des Gesichts von Jacki Schwarz lebt. Dieses Plakat ist zwar nicht in der Schau zu sehen, dafür hängen dort aber interessante Poster aus der Zeit, als er für den Filmverleih „Progress“ arbeitete. Ähnlich wie John Heartfield bringt er dabei unterschiedliche Bildinhalte, zum Beispiel bei „Der Boss hat sich was ausgedacht“, in einen symbolischen Bedeutungszusammenhang und spielt mit Größenverhältnissen. Das Gesicht des die Frau auch bildhaft dominierenden Bosses mit Zigarre, Krawatte und einem schwarzen und einem gelben Auge ist über den Augen einfach abgesägt, weil darauf leicht ironisch schräg ein PKW mit großer Schnauze balanciert. Sein Plakatschaffen und seine Buchumschläge waren erfolgreich – er nahm mehrmals an der Plakat-Biennale in Warschau teil und erhielt die Auszeichnung „Bestes Plakat des Jahres“ – die Ausstellung wird dadurch auch zum Spiegel des ästhetischen Stilempfindens der 50er bis 70er Jahre. Schon allein deshalb ist die Schau sehenswert, aber wahrscheinlich kommt man dem Künstler näher in seinen freien Arbeiten.
Still und meist kleinformatig hängen die Bilder im Alten Rathaus, das Ringen um die Ordnung in der Kunst ist jeder Arbeit anzusehen und die grafische Herkunft verleiht ihnen manchmal durchaus eine Strenge. Er versuchte, das Chaos des Lebens zu ordnen, sich zu konzentrieren auf einen Bildausschnitt, wie in „Andalusische Fenster“. Die Temperaarbeit aus dem Jahr 1996 ist gewissenhaft grafisch geordnet, Harmonie erhält sie durch die warm getönten Farben, die in den Bögen und hierarchisch organisierten maurischen Architekturen doch irgendwie herzlich schimmern. Langweilig ist das nicht, und interessant erst durch den Widerstreit der grafischen, etwas teutonischen Disziplin mit der Leichtigkeit des Lichts und der Farben. Selbst das unordentliche Gewirr übereinander liegender „Boote“ erhält in dem Aquarell aus dem Jahr 1986 Ordnung durch die Vertikalen der Maste. Etwas heraus fällt das Ölgemälde „Mein Vater, Stromkassierer“, das 1975 entstand und an sozialistische Kunst gemahnt: Da steht sehr gerade ein streng wirkender Mann mit verschatteten Augen und grobgrünem Jackett, sein Fahrrad mit der Rechten fest haltend wie wohl sein ganzes Leben. Unter dem linken Arm klemmen als Grundlage seiner Autorität Ordner, sanft allein schimmert das Abendlicht auf das hinter ihm liegende Dorf. Werner Gottsmann ist in der Ausstellung als ein Ästhet strenger Ordnung, die mit dem Wunsch nach Leichtigkeit ringt, neu zu entdecken.
Zu sehen bis 30. Juli, Do bis So, 10 bis 18 Uhr.
Lore Bardens
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