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Tanz mir den Schostakowitsch. „Unstable Element“ in der „fabrik“.

©  Marek Kucera/fabrik

Kultur: Kunst oder Kunstbeflissenheit

Die Premiere von „Unstable Element“ in der „fabrik“ hinterlässt zwiespältige Gefühle

Stand:

Diffuses Zwielicht liegt wie ein Schleier auf der Bühne der „fabrik“ in der Schiffbauergasse in Potsdam. Zur Premiere des Tanzstücks „Unstable Element“ sind viele Zuschauer in das Zentrum für modernen Tanz gekommen. Das neue, von dem italienischen Choreografen Simone Sandroni während einer vierwöchigen Residenz erarbeitete Tanzstück soll, wie es im Programmtext heißt, der Musik von Dimitri Schostakowitsch und Alfred Schnittke folgen.

Nacheinander erscheinen paarweise ein Musiker und ein Tänzer respektive eine Tänzerin auf der Tanzfläche. Schließlich sitzen die Musikanten des Merlino Quartetts am rechten Bühnenrand und intonieren Schostakowitschs Streichquartett Nr. 7 op. 108. Dazu drehen und winden, kreiseln und springen die vier Tänzer meist in streng abgezirkelten Bewegungen. Wenn die Musik staccato und unisono klingt, werden die Gesten und Figuren dynamisch und zackig, im langsamen Satz überwiegen bodennahe Bewegungen. Es ist ein Versuch, die Klänge in abstrakte Körperchiffren zu übersetzen und Körperbewegungen in kalligrafische Zeichen zu verwandeln. Die vier Tänzer – zwei Frauen (Chiara Montalbani, Elvira Zuñiga) und zwei Männer (Fernando Roldan, Stefano Roveda) – wirken in ihrer schlichten Alltagskleidung aus Hose und Bluse recht konkret und menschlich. Ihre Gesichter leuchten vor Anstrengung, ihre nackten Füße trappeln, schleifen und springen über kahlen Boden in intensiver tänzerischer Hingabe. Sie zeigen Höchstleistungen an Körperbeherrschung, sei es solistisch, paarweise oder im Ensemble. Auffällig werden althergebrachte Formen und Figurationen vermieden. Vielmehr erinnert die Darstellung an die belgischen Tanzrevolutionäre der 80er-Jahre. Simone Sandroni gehörte einst als Tänzer zu den Gründungsmitgliedern des avantgardistischen Tanzensembles von Wim Vandekeybus, gründete dann aber im Jahr 1996 in Prag die multinationale Kompagnie déjà donné. Er zeichnet als Choreograf viele Stücke in ganz Europa und tourte mit seinem Ensemble durch 25 verschiedene Länder.

Anders als im Programmheft angegeben wird als zweites Stück Alfred Schnittkes Streichquartett Nr. 3 gespielt. Die in magisches, blaues Zwielicht getauchte Bühne wirkt einmal mehr wie ein Zwischenreich (Lichtdesign: Vincent Longuemar). Schnittkes 1983 entstandenes Werk enthält nicht nur Reminiszenzen an Schostakowitsch und andere Komponisten, sondern treibt die Dekonstruktion der traditionellen Tonsprache gewissermaßen auf die Spitze. Der Komponist experimentiert mit ungewöhnlichen Klängen und verbindet Atonales mit Herkömmlichem, Dissonanzen mit Konsonanzen, Walzerrhythmik mit brutalen Fortissimo-Ausbrüchen. Dem trägt die Choreografie Rechnung mit zunehmend marionettenhaften Bewegungen, mit Schenkelklatschen, entfesselten Drehungen der Gliedmaßen und faszinierender Fußarbeit – und doch gelingt es nicht, die raffinierten musikalischen Exzesse annähernd umzusetzen.

Im Stil der Sasha-Waltz-Kompagnie werden jetzt die Musiker ins Geschehen einbezogen, die Tänzer tragen die Notenständer auf die Bühne, die Musiker folgen, zum Schluss bilden alle gemeinsam eine Reihe und folgen einem Bewegungsmuster. Schließlich vernebelt weißer Rauch die Bühne wie ein Ausrufezeichen. Es folgt das berühmte achte Streichquartett von Schostakowitsch, berührend ausdrucksvolle, schmerzliche, groteske Musik – nicht zuletzt dank der hervorragenden Interpretation durch das Merlino Quartett mit Peter Rainer, Michiko Liyoshi (1. und 2. Violine), Ralph Günthner (Viola) und Damien Ventula (Violoncello).

Hier klafft endgültig die konzeptionelle Schere zwischen Musik und Choreografie auseinander. Denn diese Musik ist ein subjektives Bekenntniswerk, sie will erinnern, erzählen und ergreifen – konkret an die Opfer von Krieg und Faschismus –, doch der Tanz kann die ungeheure geistige Intensität nicht ansatzweise reflektieren. Was vorher noch ambitionierte Tour de Force beim Bemühen um Abstraktion war, ein bisschen so wie beim Konzepttanz der 90er-Jahre, wandelt sich in recht trivial-dekorative Gestik und Figuration. So stellt sich die kritische Frage, ob diese Darstellung von Kunst oder doch nur von bloßer Kunstbeflissenheit zeugt. Der Abend wird letztlich von der Musik getragen. Dagegen wirkt der Name des Tanzensembles „déjà donné“, was soviel wie „bereits gegeben“ heißt, im Nachhinein wie ein dunkler Spiegel einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Wieder am heutigen Samstag um 20 Uhr in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse.

Babette Kaiserkern

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