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Bloß nicht wegschmeißen! Das ist schließlich Kunst, namen- und titellos.

©  BVBK

Kultur: Kunst ohne Namen

Die Ausstellung „Anonymus“ auf der Freundschaftsinsel fordert den Besucher ganz besonders

Stand:

Heiner Müller fürchtete einst das Verschwinden des Autors im Werk. Die bemerkenswerte Ausstellung „Anonymous“ im Pavillon auf der Freundschaftsinsel geht umgekehrt vor, hier wird das Werk vom Autor gelöst, vorübergehend wenigstens. Was anonym ist, hat keinen Namen, bleibt also namenlos. Veranstaltet wird die „Ausstellung über den Gegenwert“ vom Brandenburgischen Kunstverein, aber das schon soll eigentlich keiner wissen, dies ist genauso geheim wie die Namen der beteiligten Maler, die Kuratoren, die Bildtitel und alles, was sonst als Drumherum noch zum Kunstbetrieb gehört. Nicht mal eine ordentliche Legende zu den vierzehn Werken ist da, nur kleine Karteizettel mit mehr oder weniger sinnigen (verdächtig kunstwissenschaftlich formulierten) Reflexionen, die man, mit Charme oder Intuition, den einzelnen Werken zuordnen kann. Sonst hätte man von nix ja auch nix. Die Ausstellung also ist das Konzept, nicht das einzelne Werk.

Und weil an den Stellflächen noch reichlich Platz ist, werden ihr bis zur Finissage am 3. November immer noch weitere Bilder, Grafiken, Assemblagen hinzugefügt, anonym, versteht sich. Wir zeigen nackte Kunst, wir lassen den Zuschauer mal so richtig gnadenlos ackern, als Gegenwärtiger ist das ja auch seine Pflicht, scheint das Motto.

Eine Schau solch kühner Intention hat man selbstverständlich noch nie gesehen, vergleichbare Ausstellungsbeispiele schon, etwa die gebastelte Mini-Staffelei hinter Rahmen und Glas, oder „Mängelexemplar“, ein leerer Bilderrahmen, von pinkfarbener Plastikfolie umhüllt – als Verdoppelung des Nichts, sozusagen. Mit Werkfolgen oder Einzelstücken wird das gesamte Spektrum der Möglichkeiten erschöpft, die abstrakte Schwarz-Weiss-Zeichnung tot und kalt wie eh, Assemblagen, verzerrte Kindergesichter, die Errichtung von Schreibtisch, Lampe und Stuhl, wobei ein Filzstift nebst Löschblatt die konzeptuelle Plackerei übernimmt, eine reinweiße Arbeit. Auf dem Karteiblatt mit dem Titel „The Assignment Book“ wird der Betrachter interaktiv aufgefordert, „selber Kunsthistoriker zu werden“. Na bloß nicht! Tuscheblätter deuten Porträts an, Zeichnung will Gegen-Zeichnung sein, filigrane Zwischenschichten einer Übermalung erstreben Kunstwert, in „Sankt Marco“ reiben sich Innen und Außen so sehr, bis eine Vedute mit Lücken entsteht. Unlesbar trotz aller Klarheit bleibt eine Kalligrafie mit gülden-chinesischer Schrift. Sogar Picasso kommt vor, allerdings halb-anonym.

Moderne Ansichten, moderne Werke, sind manchmal eine wahrhaft exemplarische Herausforderung. Zu bedenken wäre, ob Kunst ohne Namen, Adresse und Zuordnung am Ende keine mehr ist, oder ob sie vielleicht zum Ding an sich wird, ganz allein und aller Koordinaten beraubt. Der Besucher sitzt so oder so in der Falle: Ob er diese Schau nun toll findet, billig oder sie ihm gar nicht gefällt, ist egal. Sobald er den Raum betritt, muss er sich im und als Gegenwert verhalten. Er ist die Hauptperson dieses Spiels, die Adresse. Selber denken soll er lernen, so das Konzept. Natürlich gibt es den Pferdefuß: Das Konzept will sich zwar ostentativ vom etablierten Kulturbetrieb lösen, die Bilder aber tun es nicht. Sie sind allesamt mehr oder weniger en vogue geraten. Wenn sie demnächst wieder in einer ordentlichen Galerie hängen dürfen, mit Name und Adresse versehen, umarmt von der Hierarchie - wird mit Sicherheit mancher Anonymous sich dafür herzlich bedanken. Gerold Paul

Noch bis zum 3. November, dienstags bis sonntags, 12 bis 18 Uhr, im Pavillon auf der Freundschaftsinsel

Gerold Paul

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