Kultur: Kurz vor dem Nichts
Acht Bögen Papier von Claudia Hajek
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Acht Bögen Papier von Claudia Hajek Hält man die Hand vor eine Glühbirne, kann man Knochen und Adern sehen. Der eigene Körper wird einem fremd, die Haut ist eine dünne Membran, dahinter das Geheimnis des Lebens. Ähnlich ergeht es dem Betrachter der acht großen Acrylglaskästen, die noch bis zum Samstag im Pavillon der Freundschaftsinsel zu sehen sind. In ihnen sind acht große weiße Papierblätter verwahrt, die an Stahlseilen frei von der Decke hängen. Die in Potsdam lebende Absolventin der Hochschule der Künste, geboren 1967 in Bielefeld, zeigt Wände aus Papier. Wenn die Sonne von der freundlichen Blumeninsel hinein scheint, lösen sich Geheimnisse aus den Knicken und Falzen. Die Haut und ihre Falten, denkt man. Papier, noch unbeschrieben, aber bereits markiert, unbemalt, aber vorgezeichnet. Ein Zwischenstadium. Verbraucht etwa? Schwebende Bögen Weiß, kurz vor dem Nichts, von Licht durchflossen. Laken, in denen während der Nacht die Liebe ihre Formen gegossen hat. Ein Körper, der sich damit verhüllte. Die Poren des Papiers getränkt noch mit dem Duft der Liebe. Ein Moment des Lebens, in den Stoff geformt, längst vorbei schon, hier aber fixiert. Und niemals genau so wiederholbar. Oder ein Geschenk, mit Sorgfalt eingeschlagen, und dann voller Freude entpackt. Weiße Gespenster in Pergament, die Lebensgeister. Fußabdrücke, die ins Nirgendwo führen. Faltengebirge der Seele in elfenbeinfarbener Unaufdringlichkeit. Die Knautschungen, Kniffe und Verwerfungen sind Spuren auf dem opaken Material, aber noch keine Zerstörungen. Da ist kein Riss. Wut, Willkür oder Plan? Zufall oder Komposition? Claudia Hajek lässt zerbeulte Makellosigkeit und gebrochene Erhabenheit entstehen. Wie diese weißen dünnen Flächen schweben, zeigt sich eine verschobene Neutralität, der Mensch fühlt sich in sie eingeschlagen. Wir sind in diesem stillen Raum aus Glas, wie im Innern unseres Körpers, wir sehen Adern, und schauen hinaus. Das Weiß ist aber noch nicht durchlässig genug, Bewegungen da draußen dringen nur als Schatten zu uns, gebrochen noch durch die Brüche der zerknitterten Membran. Lebenslinien, die schwer zu erkennen sind. Da und doch nicht vorhanden. Oder schauen wir auf Landkarten, auf China, auf Ägypten, die Herkunft des Papyrus? Wie sehen wir Berge und Täler, gezeichnet einzig durch den Schattenwurf. In welcher Position befinden wir uns? Schauen wir aus dem Fenster oder aus dem All hinunter? Wie auch immer, wir sind kurz vor dem Nichts, kurz vor dem Weiß in allem, was wir erkennen. Matthias Hassenpflug Bis 25. September, täglich 10 -18 Uhr, Pavillon auf der Freundschaftsinsel.
Matthias Hassenpflug
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