
© Höfische Festspiele
Kultur: Kurzer Ausflug nach Brasilien
Ein musikalisch-literarischer Spaziergang auf den Spuren von Friedrich Sellow
Stand:
Musikalisch war er, literarisch ein bisschen, botanisch dafür sogar sehr, der sonntägliche Spaziergang durch den Botanischen Garten zu Potsdam. Die Höfischen Festspiele Potsdam hatten sich mit der hiesigen Universität zusammengetan, um virtuelle Interessenten möglichst sach- und fachgerecht auf Friedrich Sellows Forscherspuren wandeln zu lassen, schließlich war er viel eher in Brasilien als die Fußballhelden von gestern und heute. Die Schauspielerin Antje Widdra las Texte und Briefe des preußischen Botanikers, dazu weitere Dokumente aus den Händen von Johann Baptist von Spix, Ignaz Urban, Alexander von Humboldt und anderen. Frank Riedel spielte Gitarrenmusik brasilianischer Komponisten, indes Steffen Ramm die gut dreißigköpfige Besuchergruppe fachkundig zu jenen Pflanzen führte, die der Naturkundler Sellow (1789-1831) gesammelt und teils auch erstmals beschrieben hatte.
Der gebürtige Potsdamer hatte die besten Voraussetzungen, den guten Ruf seiner Familie, Spürsinn und Fleiß eines forschenden Geistes, dazu die Reputation Alexander von Humboldts und namhafter Botaniker des Britischen Reiches. 1810 studierte er Botanik in London und Paris, 1814 reiste er auf Einladung des russischen Konsuls, Baron von Langsdorff, nach Rio, wo aus seinem Geburtsnamen Sello ein Sellow wurde. Potsdam sah er nie wieder, denn Anfang Oktober 1831 ertrank er in den Fluten des Rio Doce im Süden Brasiliens. Da er früh auf den Spuren des Südamerika-Forschers Alexander von Humboldt wandelte, Unmengen an Pflanzen, Früchten und Sämereien, an Tieren und Mineralien sammelte, meteorologische und ethnische Studien betrieb, glaubte man posthum, nur sein früher Tod hätte verhindert, dass aus ihm ein „zweiter Humboldt“ wurde.
Nun war Brasilien damals so gut wie unerforscht. Abgesehen von den üblichen Expeditionsstrapazen kann das Sammeln und Jagen ganz so schwer nicht gewesen sein, denn Philodendron oder Feuersalbei sind dort nicht eben Raritäten. Trotzdem gehört natürlich immer dem Ersten der Ruhm. Alle großen Naturkundemuseen Europas besitzen Fundstücke des preußischen Pflanzenjägers Sello. Er nahm alles, was andere ob zu großen Aufwands verschmähten. Deshalb auch sein Spitzname „Eiserner Sellow“. Allein mehr als 12 500 Farn- und Blütenpflanzen schickte er über den Atlantik in seine Heimat.
Der musikalisch-literarische Spaziergang „Ein Potsdamer erforscht Brasilien“ begann nur einen Steinwurf entfernt von dem Ort, wo Friedrich Sellow als Jüngling seine Gärtnerlehre absolvierte, gleich neben dem Botanischen Garten. Antje Widdra las im Kostüm jener Zeit eine biografische Skizze, von Ignaz Urban verfasst. Gitarrenmusik von João Pernambuco, leise und sanft. Dann weiter in die Gewächshäuser, wo es neben Texten und Musik im Farnhaus unter anderem „Sellows Taschenfarn“ zu bestaunen gab, bei den Begonien den Baumfreund alias Philodendron, gleichfalls nach dem promovierten Botaniker benannt. Aus den über 70 überlieferten Reise- und Expeditionstagebüchern vernahmen die Zuhörer, mit welch eisernem Eifer er seine Studien betrieb, aus fremder Feder, wie hoch man ihn in Regierungskreisen schätzte. Die innere Biografie blieb dabei ziemlich auf der Strecke.
Ein bisschen Regen mit Gewitter während des 75-minütigen Wandelns, fast wie in Brasilien. Man endete mitten im Paradiesgarten, wo es um Ruhm und um den Nachruf des bienenfleißigen Doktors ging. Dazwischen zahlreiche Fragen aus dem Publikum unterwegs, wie alt dieser Baum sei, wie hoch und woher, nichts Tieferes. Nett und lehrreich war er trotzdem, dieser Spaziergang. Eine schöne Idee.
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: