zum Hauptinhalt
Christoph Maria Herbst.

© pr

Lesung im Nikolaisaal: Lachen mit Hitler

Der Diktator als Medienstar: Christoph Maria Herbst las im Nilolaisaal aus „Er ist wieder da“ - zusammen mit dem Schriftsteller Timur Vermes.

Stand:

Die Frage, ob man über Hitler lachen darf, wird am Dienstagabend im fast ausverkauften Nikolaisaal eindrucksvoll beantwortet. Als der Schriftsteller Timur Vermes dort zusammen mit Christoph Maria Herbst seinen längst zum Bestseller avancierten Debütroman „Er ist wieder da“ vorstellt und Herbst damit beginnt, den rumpelnd rollenden Hitler-Tonfall zu imitieren, erschallt der ganze Saal sofort in lautem Gelächter, gibt es begeisterte Pfiffe und schnell den ersten Zwischenapplaus. Brillant, wie der Comedian und Schauspieler diese Sprechrolle beherrscht. Verblüffend echt klingt da Hitlers Stimme, als er im August 2011 auf einer Brache in Berlin-Mitte erwacht und sich darüber wundert, warum die Pimpfe so bunt gekleidet sind und ihm nicht den deutschen Gruß entbieten. Matt schleppt sich Hitler in seiner nach Benzin stinkenden Uniform bis zu einem Zeitungskiosk, dem Ausgangspunkt seiner neuen Karriere. Entdeckt von Häschern einer quotenfixierten Medienlandschaft wird Hitler bald zum gefeierten Star für ein ironiegläubiges Publikum, welches ihn, der seine blanke Demagogie bitterernst meint, stets nur für eine lustige Kunstfigur hält, die schlechterdings mit ihrer Rolle verwachsen scheint.

Auf die die Idee zu seinem Buch (Eichborn Verlag 2012, 19,33 Euro) sei er während eines Türkeiurlaubs gekommen, sagt Vermes. Dort habe er das ihm unbekannte zweite Buch Hitlers entdeckt und sich gedacht, da könne er ja gleich das dritte schreiben. Hitler dabei zu persiflieren und auch den sperrig umständlichen Sprachstil von dessen Programmschrift „Mein Kampf“ zu kopieren bereitete dem zuvor als Ghostwriter tätigen Autor sogar eine gewisse Spielfreude. Das Reizvolle an der Arbeit waren für ihn aber erst die Assoziationen zu einem Führer-Comeback in der Gegenwart. „Der findet bestimmt die Ferres toll, und wenn der die toll findet, muss die Ferres doch schlecht sein“, so Vermes kichernd und verweist damit auf die heutige Vorausbewertung jeder Meinung Hitlers und zugleich auch auf ein Anliegen seines Buches. Einem Buch, darin Hitler nicht nur als dämonischer jähzorniger Brüllaffe, als „ntv-Hitler“, sondern auch als jemand gezeigt wird, der die Menschen durchaus mit freundlichem Charme verführen kann. Nicht von ungefähr hat Vermes in seinem Buch auch die Ich-Perspektive gewählt. So zwingt er den Leser, die zunächst gar nicht so unbequeme Brille eines Protagonisten zu tragen, der sich banaler Alltagssorgen annimmt oder die Schwächen der modernen demokratischen Gesellschaft analysiert. So lädt er ihn auch ein, gemeinsam mit Hitler zu lachen, wenn der erstaunt die Blitzreinigung Yilmaz betritt oder später die „dürren Jüngelchen“ in der NPD-Zentrale zusammenstaucht. Dennoch funktioniert diese Satire nur halbwegs, wenn dieser Hitler vom gesamten Romanpersonal nie als Nazi, sondern stets nur als Medienclown wahrgenommen wird. Auch ermüdet man rasch, wenn man Hitler auf einer Strecke von 400 Seiten beim Zurechtfinden in der heutigen Welt begleiten und dabei auch noch regelmäßig dessen seitenlang monologisiertes NS-Gedankengut ertragen muss. Dieser Witz versandet also nicht nur, er erstickt, und das geradezu offenkundig.

So ist es schade, dass sich der Moderator Ralf Schuler an diesem Abend lieber einen launigen, comedyhaften, am Ende aber kläglich gescheiterten Schlagabtausch mit seinen beiden Gästen zu liefern versucht, statt Timur Vermes’ Politsatire etwas mehr auszuloten oder auch mal nachzuhaken, wenn dieser leicht selbstgefällige Autor einmal mehr den wirklich guten Fragen ausweicht. Dass sich der Abend dennoch mehr als gelohnt hat, ist allein Christoph Maria Herbst und seiner wahrhaft grandiosen Darbietungskunst zu verdanken. Keiner kann den GröFaZ („Größten Feldherrn aller Zeiten“) so imitieren wie er. Wie Ungenießbares versteht es Herbst, die Sätze auszuspucken, Worte wie „Schmutzfink“ hinauszufauchen, die Lieblingsvokabel Hitlers, das cholerisch gekrähte „fanaaatisch“, noch mit charakteristischen Gesten zu untermalen und so aus der Lesung ein Erlebnis zu machen, das die Lektüre des Buches bei Weitem übertrifft. 

Daniel Flügel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })