Als Verleger in Paris ist er gescheitert. Aber da war ja noch die väterliche Bäckerei in der Normandie – und so ist Martin Jaubert (Fabrice Luchini) mit seiner Familie vor ein paar Jahren in die alte Heimat umgezogen und reüssiert nun lieber im Getreideverarbeitungsgewerbe, auch wenn das ereignisarme Leben in der nordfranzösischen Provinz mit dem intellektuellen Hauptstadtflirren nicht gerade mithalten kann.
Auch die neuen britischen Nachbarn haben einen Wechsel von der Metropole ins Bukolische hinter sich. Frisch verheiratet sind Charlie (Jason Flemyng) und seine Frau Gemma (Gemma Arterton) aus dem hektischen London geflüchtet, um – wie Charles es ausdrückt – an einem Ort zu wohnen, „an dem die Kunst des Lebens ernst genommen wird“. Der Nachname des Paars lässt Martin sofort aufhorchen: Bovery – das tönt fast so wie Gustave Flauberts berühmteste Romanfigur, die vom Landleben angeödete Arztgattin Emma Bovary. Fortan entwickelt der bekennende Literaturfreund die fixe Idee, Gemma könnte das gleiche Schicksal ereilen wie Flauberts liebessüchtige und wachsend verzweifelte Fremdgängerin „Madame Bovary“.
„Manchmal imitiert das Leben die Kunst“, sagt er und verfolgt zunehmend obsessiv das Leben der schönen Nachbarin. Zunächst scheint sie sich Martin als Vertrautem zuzuwenden, lässt sich von ihm bereitwillig in die Kunst des Brotbackens und die Geheimnisse der regionalen Kultur einweisen, bis im benachbarten Schloss Hervé de Bressigny (Niels Schneider) Quartier bezieht. Den blutjungen Adligen findet Gemma deutlich attraktiver als den treu dreinblickenden Bäcker. Aber sollte sich nicht, meint Martin, das Schicksal beeinflussen lassen – stets im Blick auf den Roman?
Höchst unterhaltsam destillieren Anne Fontaine und ihr Co-Drehbuchautor Pascal Bonitzer in dem Film „Gemma Bovery“ ihre komödiantische Variante des Klassikers der Weltliteratur. Als unmittelbare Vorlage dieser postmodernen Flaubert-Meditation diente eine Graphic Novel von Posy Simmonds. So leicht und luftig wie ein gelungenes Soufflé wirkt der fein ausgesponnene Film. Sanft ironisch setzt er ganz auf die Erzählperspektive des Mittfünfzigers, der sich so literarisch wie erotisch zu seiner Bovary/Bovery hingezogen fühlt. Dabei erweist sich Fontaine, wie zuletzt in ihrer Doris-Lessing-Verfilmung „Tage am Strand“, erneut als Filmemacherin, die die sinnliche Verführungskraft des Kinos zu zelebrieren versteht. Lustvoll gleitet die Kamera beim Brotbacken an Gemmas Armen und Händen entlang, lasziv schlendert sie in Blümchenkleid und Gummistiefeln durch den sonnendurchfluteten Wald – ein stets nur zart überzeichnetes Objekt der Begierde männlicher Sehnsuchtsfantasien.
Sinnliche Schwärmerei und ironische Brechung bleiben in der Balance, und Fabrice Luchini, unter Anne Fontaines Regie bereits in „Das Mädchen von Monaco“ kurios wackliger Held einer amourösen Midlife-Crisis, überzeugt erneut durch unnachahmlich linkischen Charme. Verspielt, intelligent und ungeheuer gut aussehend das alles – und eben: très français. Martin Schwickert
„Gemma Bovery“ ist im Thalia Filmtheater in der Rudolf-Breitscheid-Straße 50 zu sehen.
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