
© Robert Stolpe
Kultur: Landschaften in klarem Licht
Sinfoniekonzert mit der Kammerakademie unter Leitung von Alondra de la Parra im Nikolaisaal
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Zu Anfang steht die Tonart der Zerknirschung, der Askese und Ergebung, manchmal sogar der Verdammnis. So zumindest wird das h-Moll in älteren Texten beschrieben und ein bisschen davon konnte man auch am Sonnabend in Franz Schuberts „Unvollendeter Sinfonie“ im Nikolaisaal hören. Mit nichts Geringerem als Schuberts Schwergewicht eröffnete die Kammerakademie Potsdam das letzte Sinfonie-Konzert der Saison.
Voll nüchterner Entschlossenheit bürstete die junge Dirigentin Alondra de la Parra das Werk so auf, dass Schmerz und Wonne dicht aufeinander folgten. Doch süßliches Zuckerschlecken ist ihre Sache nicht. Dissonanzen und Klangausbrüche werden nicht gemildert, sondern kompromisslos und hart intoniert. In diesem hellen Licht erscheinen selbst die lyrischen Passagen klar und konkret. Auch der zweite Satz erscheint nicht in romantisierendem Zwielicht, sondern ruht wie eine Landschaft in heller Mittagssonne. Die schattenlos prägnanten Holzbläser und präzis artikulierenden Streicher der Kammerakademie lassen historisierende Spielarten weit zurück und verwandeln die Unvollendete in eine hochmoderne Apotheose des Klangs.
Wie gut es tut, wenn jemand von außen kommt und einen neuen Blick auf alt gewohnte Dinge wirft, zeigt sich hier einmal wieder. Die junge Dirigentin mexikanischer Herkunft Alondra de la Parra mischt schon länger die klassische Musikszene Amerikas auf. Bereits bei der Gründung des Philharmonic Orchestra of the Americas im Jahr 2004 in New York zeigte sie, wie wenig ihr manch traditionelle Grenzen bedeuten. Bei ihrem zweiten Auftritt mit der Kammerakademie wechselt die entschlossen auftretende Dirigentin von den Schrecken der Alten Welt in die Aufbruchsstimmung der Neuen Welt – und wieder zurück.
Bis zu den philosophischen Wurzeln des Abendlands greift Leonard Bernstein in seiner Serenade nach Platons Symposion für Solo-Violine, Harfe, Schlagzeug und Streichorchester. Unter dem schlichten Namen verbirgt sich ein veritables Violin-Konzert, dem die blutjunge Geigerin Kathy Kang beredten Ausdruck verleiht. Die Reden über die Liebe aus Platons Gastmahl erweisen sich in der musikalischen Übersetzung als komplexes Geflecht verschiedener Klangsprachen von Barock bis Jazz. Bernsteins eigene hemdsärmelige Definition steht dem nicht entgegen, er sieht in seinem Werk den „Geist jener zeitlosen dinner party“ erfüllt.
Von der lyrischen Rede des Phaedrus zum Lob des Eros geht es zu Aristophanes, dem Märchenerzähler, welcher, wie es dem Barden gebührt, von der Harfe begleitet wird, aber nicht lyrisch, sondern mit trocken-rhythmischer Gestik. Zu einem kuriosen Aufruhr gerät die Rede des Arztes Eryximarchos in Gestalt eines frech auftrumpfenden Fugato-Scherzos. Den leuchtenden Mittelpunkt bildet aber das berühmte Liebeslob des Agathon, das von einer mehrstimmigen, sublimen Solokadenz der Violine gekrönt wird und mit weihevollem Ton endet.
Fast klotzig, zumindest frenetisch erklingt der letzte Satz mit den Reden Diotimas und dem Einbruch der Trinkerbande von Alkibiades. Angeführt wird die lustvolle Grenzüberschreitung vom gleißend-hellen vibrierenden Ton der Violine von Kathy Kang. Auch in den diffizilsten Passagen, an denen wahrlich kein Mangel herrscht, brilliert die 21-jährige Koreanerin bravourös. Den dankbaren Abschluss bilden die Variaciones concertantes für Kammerorchester von Alberto Ginastera, einem der renommiertesten lateinamerikanischen Komponisten. In diesen überwiegend getragenen Variationen kommt jedes Instrument solistisch wunderbar zur Geltung.
Auf der harmonischen Basis der sechs leeren Saiten der Gitarre entwirft der Komponist reiche, gleichwohl schlicht gebaute Klangfelder. Dafür gebührt den Solisten, insbesondere an Bratsche, Cello, Kontrabass, Horn und Flöte großes Lob. Ein Ausflug in die Pampa mit einem stilisierten argentinischen Malambo-Tanz im Rhythmus tanzender Gauchos beschließt das Werk. Spätestens jetzt hat sich der Weltschmerz des Anfangs in dionysischen Rausch verwandelt. Begeisterter Applaus für dieses sehr gelungene Saison-Final-Konzert der Kammerakademie.
Babette Kaiserkern
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