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Kultur: Lange Nacht der spitzen Zähne Eine ganze Nacht für Graf Dracula im Filmmuseum

Er hat für Schrecken an diesem Abend gesorgt. Blut ist geflossen, Abgründiges hat sich gezeigt und auch Schönes.

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Er hat für Schrecken an diesem Abend gesorgt. Blut ist geflossen, Abgründiges hat sich gezeigt und auch Schönes. Er ist albtraumhaft durch den Schwarzweißfilm geschlurft, hat den großen Krieger, den Galan und widerwärtigen Alten gemimt. Dann liegt Graf Dracula mit durchschnittener Kehle und einem Dolch in der Brust auf dem Boden in der Kapelle seiner Burg. Ein Monster, hässlich, röchelnd, fast schon verwesend. Und Mina beugt sich über ihn. Sie weint, fleht und küsst diesen fleischgewordenen Albtraum. Denn Mina sieht etwas in ihm, empfindet für ihn, was eigentlich nicht sein kann: grenzenlose Liebe.

Von der Suche nach dieser grenzenlosen Liebe hatte Mark Benecke in seinem Vortrag am Freitag im Filmmuseum gesprochen. Im Rahmen der 17. Berliner Märchentage widmete man in Potsdam dem beißwütigen Herrn aus Rumänien eine ganze Nacht. Mit „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, „Bram Stoker’s Dracula“ und „Tanz der Vampire“ drei Klassiker der Vampir-Verfilmungen, dazu zwei Vorträge.

Norbert Borrmann, Autor des Buches „Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit“ gab einen Einblick in die Vielgesichtigkeit der Filmfiguren Draculas. Da ist der Schmarotzer und heillos Süchtige, der mit seiner Blutgier für das längst Überholte steht. Und der in Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von 1922 seine Entsprechung fand. So wie der Schauspieler Max Schreck als bleichgesichtiger und mumifizierter Graf Orlok durch den Film schlurft, könne man an ihm fast schon den Geruch der Verwesung wahrnehmen. Dann präsentiert sich der Graf als „enthemmter Hedonist“ und „nimmersatter Don Juan“, in dem sich dämonischer Liebhaber und Machtmensch vereinen.

Als Beispiele führte Borrmann hier Tod Brownings Dracula Verfilmung von 1931 mit Schauspieler Bela Lugosi und den Film mit Christopher Lee von 1958 an. In Francis Ford Coppolas Verfilmung „Bram Stoker’s Dracula“ von 1992 finden all diese unterschiedlichen Gesichter in der Darstellung von Gary Oldman ihre bisher unübertroffene Entsprechung. War Borrmanns Vortrag vor allem durch seine blumige Sprache geprägt, genoss dieser Beschreibungen wie „pervertierter Feinschmecker“, „mit penetrantem Altersgeruch“ oder „morbide Amoralität“, kam mit Mark Benecke Leben in den gut besuchten Saal.

Benecke, promovierter und international renommierter Kriminal-Biologe, bekannt auch durch Rundfunk und Fernsehen und mit Ringen in Ohren und Nasen alles andere als ein biederer Wissenschaftler, sprach über den Vampirismus im allgemeinen und deren Faszination auf die Jugendkultur.

Als Kriminal-Biologe gab Bennecke, reichlich bebildert mit Aufnahmen aus der Gerichtsmedizin, Erklärungen für das, was man den Untoten gern als Verhaltensweisen nachsagt. Ob der weit aufgerissene Mund – „die Leichenstarre löst sich, der Kiefer klappt runter, es schmatzt“ –, rote Rinnsale in den Mundwinkeln, bei denen es sich nicht um Blut sondern Fäulnisflüssigkeit handelt, Bennecke sprach und sprach und sprach. Was die Faszination der blutrünstigen Nachtgestalten auf die Jugend betrifft, so erklärte Bennecke dies vor allem als romantischen und sinnlichen Einfluss, in dem sich eines zeige: die Sehnsucht nach der grenzenlosen Liebe.

Dass diese grenzenlose Liebe manchmal seltsame Wege gehen muss, zeigt „Bram Stoker’s Dracula“. Röchelnd, auf dem Boden in der Kapelle seiner Burg, bittet der Graf, dass Mina ihm Ruhe gebe. Diesen letzten Wunsch verwehrt sie nicht, zieht den spitzen Dolch aus seiner Brust und löst schwungvoll den Kopf vom Rumpf. Vampire dürfen nun mal nicht schön sterben.

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