Kultur: Langeweile vor den Leibern
Deutsch-polnisch-schottisches Ausstellungsprojekt „Leibgedächtnis“ in der Waschhaus-Galerie
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Deutsch-polnisch-schottisches Ausstellungsprojekt „Leibgedächtnis“ in der Waschhaus-Galerie Von Götz J. Pfeiffer Wenn man den Leibhaftigen nennt, komme er angerennt. Das sagt man so. Ob das mit dem Leib und seinem Gedächtnis genau so funktioniert? Die Macher der Ausstellung „Leibgedächtnis“, derzeit in der Waschhaus-Galerie zu sehen, würden es uneingeschränkt bejahen. Ihre Erläuterungen zum Gemeinschaftsprojekt der Warschauer Akademie der schönen Künste, der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein und des College of Arts & Design der Universität im schottischen Dundee beginnen mit den bedeutungsschwangeren – und in ihrem Pathos dümmlichen – Worten: „Wir haben keinen Körper, wir sind ein Körper.“ Wer nicht weiß, dass es sich bei dem damit Zitierten „Keleman“ um einen Amerikaner der psychosomatischen Schule und Leiter des Center for Energetic Studies im kalifornischen Berkeley handelt, wird es nicht erfahren. Auch erhält der Besucher zu der ausgesprochen nachlässig kuratierten Schau nur schwer einen Zugang, wird ihm doch verschwiegen, dass Keleman die Vorstellungen einer emotionalen Anatomie und der in den menschlichen Körper gleichsam eingeschriebenen ablesbaren Erlebnisse vertritt. In seinen Worten liest sich das: „Leben erzeugt Form“ und „Die menschliche Gestalt wird geformt durch Liebe und Enttäuschung.“ Für den Ausstellungstitel haben sich die fünf Kunst-Dozenten und ihre 15 Studenten überdies den Begriff „Leibgedächtnis“ aus der Psychoanalyse entlehnt. Und als ob sich ihr Projekt damit nicht schon genug aufgeladen hätte, meinte man auch noch die zitierten Theorien „auf das aktuelle Körperbild in der Bildenden Kunst“ anwenden zu können. Nimmt es da Wunder, dass diese Expedition auf dem Weg in das Schlaraffenland einer gelungenen Ausstellung im Reisberg des selbst gezimmerten Theoriegebäudes steckenblieb? Betrachtet der Besucher die 33 ausgestellten Arbeiten, wird er immer wieder unbefriedigt oder nur gelangweilt weitergehen und sich ein ums andere Mal fragen, was ihm gesagt werden soll. Um mitzuteilen, dass die Fläche der menschlichen Haut etwa 12 Quadratmeter beträgt, hätte es Elaine Symmington bei dieser Information im Titel ihrer Arbeit „Haut“ belassen, sich das gardinenartig präsentierte Laken aus Latex sparen können. Und sollte Leveke Bosse mit dem Titel „Ich bin Ich“ ihrer körpergroßen Puppen – vielleicht nach eigenem Vorbild ? – den zentralen Satz der Bewusstseinsphilosophie Johann Gottlieb Fichtes zitieren? Man will es hoffen, denn sonst fehlte der handwerklich sauberen Arbeit jeder Esprit. Bedauerlich ist auch, dass auf die Präsentation der meisten Arbeiten wie auf ihre Beschilderung wenig Mühe verwandt wurde. So bleibt der polnische Titel „Czlowiek“ wie der in den Raum ragende, mit Fell bezogene große Sporn von Krzysztof Krzysztof unverständlich. Vor Michael Dudeks Video-Loop von Körperteilen, die in einem Morphing-Vorgang ineinander übergehen, fragt man sich, ob der Titel „Rozumiem jak sie czujesz“ vielleicht Hilfe geboten hätte. Und auch bei Thomas Malleys ästhetisch ansprechender Arbeit mit acht kleinen Schweinchen um einen Futtertrog bleibt man unbefriedigt, kann man doch nur raten – und will es irgendwann nicht mehr –, dass der Titel „Zehn kleine Schweinchen gehen zum Markt“ einen englischen Abzählreim wie die „Zehn kleinen Negerlein“ zitiert. Erst verstörend, dann immer langweiliger wirken die Voodoo-Puppen von Myra Gallicker, die sie „Körper des Gedächtnisses“ betitelte. Interessanter, doch leider wenig wirkungsvoll inszeniert sind ihre kleinen Schächtelchen mit Erinnerungsstücken „Mutters Kiste“ und „Verschlossene Geheimnisse“ benannt. Eine eigentümliche Magie verbreitet Rafal Rychters skurrile Installation „Politur für das Leibgedächtnis“. Auf einem metallenen Tisch sind ein Glaskolben und eine Monstranz mit Röhrchen in einer Laboranordnung verbunden. Es stimmt nachdenklich, dass in dem Gefäß, das im katholischen Ritus zur Präsentation der geweihten Hostie dient, ein menschlicher Rückenwirbel gezeigt wird. Aber warum wird die Tischplatte von dem brummenden Aggregat vereist? Die Arbeiten der Dozenten Ralf Sander (Warschau), Azade Köker (Giebichenstein) und Elaine Shemilt (Dundee) rangieren qualitativ weit unter den Arbeiten ihrer Studenten, allenfalls Ralf Sanders „Projektionen“ auf halbdurchsichtige Stoffe im letzten abgedunkelten Raum und sein Video „The Bodynaut“ sind wenigstens ästhetisch ansprechend. Angesichts der vielfach eingesetzten Technik von Video über Beamer zu Bildschirmen ist es überraschend, dass die schönste Arbeit aus zwei etwa faustgroßen Steinen besteht. Grzegorz Witek bearbeitete sie so, dass auf der Grundform eines Eies – Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit – ein weibliches und ein männliches Geschlecht zu erkennen sind. Seine Arbeit erfüllt fast als einzige das Selbstlob der Ankündigung zu „einer subtilen Ausstellung, die weit gehend auf laute plakative Darstellung verzichtet und dadurch zu einem umso stärkeren Ergebnis führt.“ Denn meist verbreiten sie nur Langeweile, diese Leiber und ihr nebulösen Gedächtnisse. Bis 30. April im Waschhaus, Schiffbauergasse 1. Mo-Fr 16-20, So 14-20 Uhr.
Götz J. Pfeiffer
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