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Kultur: Lass uns träumen zu zweit

Der Kitschgefahr ist jeder ausgesetzt: Die Choreografin Susanne Martin mit „Julio“ in der fabrik

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Claudia ist eine alternde Frau, die aber ihre Sehnsucht bewahrt hat. Sehnsucht, die mit Julio Iglesias“ Stimme und seinen herzerwärmenden Texten immer wieder in ihren Alltag aufscheint. Herr K.Müh hätte zwar gerne mit dem berühmten französischen Schriftsteller etwas gemein, und wenn es nur die Aussprache seines Namens ist, aber auch er ist ein ganz normaler Mann mit Hut, den Susanne Martin mit einer Ganzkopfmaske darstellt. Beide Figuren sind die Protragonisten des Stückes „Julio“, das die Choreographin Susanne Martin verantwortet und am morgigen Freitag und am Samstag in der fabrik auf die Bühne bringen wird.

Mit liebevoller Ironie, die aber die Träume der Menschen ernst nimmt, wird sich die Performance mit den Lebensträumen, die dann doch im tristen Alltag versanden und von denen man sich nur ein Zipfelchen bewahrt auseinandersetzen. Ebenso wie mit dem Alterungsprozess. Das Stück ist auch als Hommage an Julio Iglesias gedacht, den Spanier mit der weichen Stimme, die ihm die Herzen seiner Fans, egal in welcher Sprache er singt, zufliegen lässt. Und es ist eine Hommage an die kleinen Leute, die mit ihren Hoffnungen weiterleben, selbst wenn sie nur wenig davon realisieren konnten. „Amigo ich wollt immer ein Adler sein“ oder „Mit Tränen in den Augen ist man blind“ sind Verse, die die beiden Figuren zum Tanzen bringen und sie in eine Bewegung wiegen, die ihnen den Glauben daran, dass die Welt groß ist und die Sehnsucht den richtigen Weg weist, für einen Moment wieder schenken.

Zu den Liedtexten, die mal vom Band kommen und mal live gesungen werden, montiert Susanne Martin Filmausschnitte. Die Choreographin war mit Filmemacherin Andrea Keiz auf Mallorca und hat dort Urlauber nach deren Träumen und Sehnsüchten befragt. Diese Statements werden eingespielt und heben so die individuelle Sehnsuchtssuche der beiden Protagonisten auf eine allgemeinere Ebene. Dabei geht Susanne Martin durchaus respektvoll mit ihren Figuren und deren Wünschen um, sie nimmt sie ernst, befragt sich auch selbst immer wieder nach der Peinlichkeit von Kitsch.

Im Foyer hängt die thematisch passende Fotoserie von AnnA Stein „Hotel Ibiza“. Manch ein Zuschauer, der herzlich über die Protagonisten und die Statements des Films lacht, mag sich fragen, ob man über diese ganz normalen älteren Menschen und ihre vollkommen unmodischen Träumereien lachen darf. Man darf, meint Susanne Martin, denn das Lachen ist ein gemeinsames und gleichzeitiges Über-sich-selbst-Lachen, weil insgeheim jeder der Kitschgefahr ausgesetzt ist und ihr manchmal auch unterliegt.

Die Künstlerin ist zwar erst 38 Jahre alt, das Thema Altern beschäftigt sie aber schon lange. „Ein bisschen vor der Zeit“, sagt sie und lacht gleichzeitig wieder über sich selbst.

Sie ist in Duisburg aufgewachsen und hat in Rotterdam an der Tanzakademie und der Folkwang-Hochschule in Essen studiert. Seit 1990 ist sie auch als Choreographin tätig. Ihr Interesse gilt neben dem Tabuthema Altern, auch der Faszination des vom Intellektuellen abfällig betrachteten Mainstreams. Ob es sich dabei um Schlagerstars wie Julio Iglesias handelt, oder um Mythen wie „Angélique“, dem sie das Stück mit dem ellenlangen Titel „Die Eigentümlichkeit, der Exhibitionismus und die Damen von Welt“ widmet, immer sind es die Frage nach den großen sentimentalen Erwartungen, der möglichen Peinlichkeit, die darin steckt und dem realen Gefühl, das dahinter, davor oder auch darunter verborgen sein kann. So begibt sie sich mit ihren Stücken voll ins pralle, niedrige Leben, sie verkopft nicht und achtet auch sorgsam darauf, ihr Publikum zu unterhalten. Das findet sich im gemeinsamen Lachen, das ja, wenn es kein hämisches ist, Gemeinschaften zusammenschmieden kann. Und auch Dinge, die vermeintlich nicht zusammengehören, wie den modernen Tanz mit der niederen Unterhaltung, zusammenwachsen lässt. Man kann gespannt sein.

Lore Bardens

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