Kultur: Leben ist Kleinkram
Filmklassiker vorgestellt: „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, DEFA 1974
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Vor allem Babelsberger Filmgeschichte wird im Filmmuseum gehegt und gepflegt. Das heißt, die vielfältigen Dokumente, Kostüme, Technik, Nachlässe werden gesammelt und dem Publikum präsentiert. Natürlich kommen cineastische Kostbarkeiten zur Aufführung. In unserer Serie stellen wir heute „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ vor.
Verlegen stehen LPG-Bäuerinnen in der Werkstatt des Bildhauers Kemmel und sollen ihre Meinung sagen zum Relief vor ihnen. Keine macht den Anfang. Der Genosse von der Kreisleitung hilft ihnen wie ein Grundschullehrer mit einfachen Fragen aus der Klemme. Die Frauen, alle jenseits der Fünfzig, antworten befangen und dankbar wie brave Schülerinnen. Das Relief soll in ihrem Heimatdorf aufgestellt werden, es heißt „Bodenreform“. Kemmel steht rauchend dabei, neugierig und doch die Hilflosigkeit spürend, die sich breitgemacht hat. Als die Frauen fort sind, wird der Kulturfunktionär vertraulich: Am besten gefalle ihm die Kuh. Könne Kemmel anlässlich der Einweihung nicht ein paar Worte über sich selbst sagen? Statt einer Antwort reicht ihm Kemmel eine Scheibe von der Salami in seiner Hand.
Als der Film 1974 in die Kinos kommt, polarisiert er das Publikum. Viele können seiner Erzählweise nichts abgewinnen, weil sie „weder Anfang noch Ende habe und ununterbrochen Kleinkram erzähle“ (Werner Bergmann). Dieser „Kleinkram“, das sind einige Tage aus dem Leben des Bildhauers Kemmel, Begebenheiten, die sich aus seiner Arbeit ergeben: eine Reise ins thüringische Heimatdorf, die ihm den Auftrag für ein Sportplatz-Denkmal einbringt, die gescheiterte Einweihung seines Bodenreform-Reliefs, die Suche nach einem Modell für einen Arbeiterkopf, Arbeit im Atelier, Alltag mit Frau und Sohn.
Die Filmemacher – Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, Regisseur Konrad Wolf, Kameramann Werner Bergmann, Szenenbildner Alfred Hirschmeier – wählen für die Alltagsbegebenheiten um ihre unprätentiöse Hauptfigur, die von Kurt Böwe gespielt wird, eine dokumentarische Erzählweise: Die Kamera, überwiegend eine Handkamera, begleitet den Bildhauer durch einen unspektakulären Alltag, gedreht wird nahezu chronologisch, meist nur einmal und an Originalschauplätzen. Werner Stötzer, einer der wichtigsten Bildhauer in der DDR, hatte sein Atelier zur Verfügung gestellt; an der Babelsberger Filmhochschule, die Konrad Wolfs Namen trägt, studiert Stötzers Sohn heute Regie.
Die Einstellungen werden vorher nicht festgelegt, nichts soll nach Routine aussehen. Technisch alles andere als perfekt, gelingt auf diese Weise, was teures Equipment kaum je zu leisten vermag: wahrhaftige, authentische Atmosphäre bis in die kleinste Geste, das unscheinbarste Detail. Das setzt eine Zeitreise in Gang, zurück in ein versunkenes Land, dessen Präsenz für anderthalb Stunden geradezu physisch zu spüren ist. Womöglich ist der Film für die Zukunft entstanden, fürs Heute – um echte Erinnerungen zu bewahren, die von der Flut fremder Interpretationen nahezu verschüttet sind.
Als Kemmel zur Einweihung seines Bodenreform-Reliefs eintrifft, findet er nur einen verwaisten Sockel vor. Fachleute vom Bezirk wären dagewesen, berichtet die LPG-Vorsitzende betreten, und hätten bemängelt, dem Kunstwerk fehle der Schwung, der Optimismus. Darum habe man das Relief im Feuerwehrturm untergestellt. Ihr Ton wird verständnisvoll: In seinem Beruf klappe wohl auch nicht immer alles gleich so. Beide wissen, wovon sie spricht. Der Künstler als Arbeiter. Ugla Gräf
„Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ läuft im Filmmuseum am 28. April, 18 Uhr und erinnert an Hauptdarsteller Kurt Böwe, der an diesem Tag 80 Jahre geworden wäre.
Ugla GräfD
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