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Kultur: Leben verlor seinen Wert

Als Rabbiner im „Musterlager“ Sachsenhausen

Als Rabbiner im „Musterlager“ Sachsenhausen „Ich hatte keine Angst um mein Leben – es verlor in diesem Augenblick für mich seinen Wert“, stellt Max Abraham in seinen Erinnerungen fest. Am 26. Juni 1933 wurde der Prediger der jüdischen Gemeinde von Rathenow auf offener Straße verprügelt. Die Polizei, die er zur Hilfe rief, verhaftete nicht den Angreifer, sondern ihn und ließ zudem zu, dass er wiederholt auf dem Polizeipräsidium von SA Männern geschlagen wurde. Angesichts dieses offensichtlichen Unrechts empfand er keine körperlichen Schmerzen, sondern Ekel schnürte ihm die Kehle zu. Von diesem Tage an wurde Abraham ständig misshandelt, zunächst im Polizeipräsidium, später im Konzentrationslager Oranienburg. Wie die meisten frühen Lager lag es inmitten der Stadt auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei. Es wurde am 21. März 1933, dem so genannten Tag von Potsdam, errichtet und galt, wie die Historikerin Dr. Irene Diekmann in einer Veranstaltung der Landeszentrale für Politische Bildung berichtete, als „Musterlager“, das sowohl in Rundfunkreportagen wie auch in der Wochenschau propagandistisch vorgeführt wurde. Zunächst internierte die SA vor allem linke Politiker und Künstler, unter ihnen den Schriftsteller Erich Mühsam, der zu den 16 bekannten Häftlingen gehörte, die in Oranienburg ermordet wurden. Etwa 3000 Menschen waren bis zur Auflösung im Juli 1934 dort inhaftiert. Die Quellenlage zu den ersten KZ sei nach wie vor schlecht, konstatierte die Potsdamer Wissenschaftlerin, um so wertvoller seien frühe Erlebnisberichte. Max Abraham entzog sich, nachdem er sechs Monate Folterungen in verschiedenen Lagern durchlebt hatte, einer erneuten Verhaftung durch Flucht in die Tschechoslowakei. Dort verfasste er umgehend seine Erinnerungen unter dem Titel: „Juda verrecke: Ein Rabbiner im Konzentrationslager“. Über die Rezeption dieses Buches ist wenig bekannt, betonte Dieckmann. Lediglich die Geschichtswissenschaft erkannte den Text als eine wichtige Quelle für die Erforschung der Entstehung und Struktur der faschistischen KZ. Der nur noch in sehr wenigen Bibliotheken greifbare Titel ist nun erstmalig wieder veröffentlicht. In der sorgsamen Edition, die durch Glossar und Namensregister mit biographischen Angaben Verständlichkeit sichert, findet sich auch der von dem SPD-Reichstagsabgeordneten Gerhart Seger ebenfalls bereits 1934 verfasste: „Erste authentische Bericht eines aus dem Konzentrationslager Geflüchteten“, der u.a. als Stoff für den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers diente. Das Interesse an den beiden hoch emotionalisierenden Texten war bei der Potsdamer Buchvorstellung groß. Eine Abiturientin betonte, wie wichtig es sei, vermittelt zu bekommen, wie die schrittweise Zuspitzung der Unmenschlichkeit sich im Nationalsozialismus entwickelte, womit sie der Historikerin auf dem Podium aus dem Herzen sprach. Helen Thein Konzentrationslager Oranienburg: Augenzeugenberichte aus dem Jahre 1933. – Verl. für Berlin-Brandenburg, 2003. – 14,80 €

Helen Thein

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