zum Hauptinhalt

Kultur: Lebendig im Blues begraben

Zwei Frauen, eine Stimme: Marion La Marché als Janis Joplin im Nikolaisaal / Am 2. Juni kommt sie wieder

Stand:

Der Saal ist nur halb gefüllt. Ist Janis Joplin in Vergessenheit geraten oder argwöhnen die Potsdamer einem Revival? Skepsis ist naheliegend bei einer solchen Power-Stimme, die mal wild und kratzig aufbegehrt, dann wieder samt und weich die Seele streichelt.

Die ersten Töne am Donnerstagabend im Nikolaisaal gehören Janis selbst, dann rekelt sich ein runder Körper auf dem buntbetuchten Bett und wirft seine Stimme live in den Saal. „Mercedes Benz“, dem a-cappella-Song, der keine Verfälschung ertragen würde. Doch man traut seinen Ohren kaum: Die aus Rheinland-Pfalz angereiste Marion La Marché scheint dem Original geradezu aus dem Leib gesprungen. Sie schreit sich das „Baby“ aus der Seele, rockt in „One night stand“ den Blues, versinkt in „Summertime“. Nichts wirkt nachgeäfft oder aufgesetzt, es scheint aus ihr selbst heraus zu brodeln. Das Publikum klatscht und pfeift enthusiastisch nach jedem Song, lässt sich auch gern auf die gesprochenen Intermezzi ein, die das kurze und exzessive Leben der weißen Queen of Blues nachzeichnen.

Das mit wenigen Requisiten angedeutete Hotelzimmer zeigt das abgedrehte Hippiemädchen auf ihrer letzten Station, bevor sie mit einer Überdosis Heroin ihrem Wahn ein Ende bereitet. Ungewollt und doch vorgezeichnet. Der Tequilla fließt in Strömen, die Sängerin trinkt ihn wie kühlendes Quellwasser aus Plastikbechern. Zerknüllt pflastern sie am Ende den Boden wie Zornesblitze. Diese Janis trauert um ihre Kindheit, von Selbstmitleid zerfressen.

Für ihre Mutter fühlt sie puren Hass, den Vater stampft sie als Schlappschwanz in den Boden der Erinnerung. Wenn sie von ihrer Heimatstadt spricht, schäumt sie über vor Wut: ein Stinkeloch, in dem sie mit 14 verspottet wurde wegen ihrer Pickel und den zu vielen Pfunden. Aber negative Aufmerksamkeit ist besser als keine, tröstet sie sich, und will nun erst recht zum Schandfleck werden. Das Schandmaul gibt“s gratis dazu. „Alle haben sie gehasst, diese Niggerfreundschlampe, diese kleine hässliche Janis“, weint und lacht sie höhnisch in sich rein. „Böse Mädchen werden eben hässlich. Das ist die Strafe Gottes“, sagt die Mutter.

Die Videoeinspielungen zeigen Janis auf der Leinwand, brav mit aufgestecktem Haar, wenig später mit wilder Mähne – wie ein Löwe im Käfig, der ungehört um Streicheleinheiten winselt, aber bleckend die Zähne zeigt.

Marion La Marché hat sich ein Riesenpensum aufgebürdet. Von ihrem kraftvollen Gesang durchschüttelt, greift sie kurzatmig zum Mikro und erzählt nicht nur über ihre Ikone, deren Lieder sie schon als kleines Kind auswendig kann. „Als ich meinem Vater, dem Rock“n“Roller, sagte, dass ich Janis live erleben möchte, war sie schon tot.“ Marion kam nicht wie Janis aus einem prüden, kaltherzigen Elternhaus, aber sie erlebte eine Kindheit, die der Jugend von Janis in vielem glich, mit freier Liebe, Drogen und jeder Menge Selbstbetrug. Janis Traum von einem normalen Leben, von einem kleinen Haus mit weißem Zaun drumrum, ist ihr durchaus nahe. Sinnfällig lässt Marion La Marché ihrer beider Lebenswege kreuzen. Doch wenn sie dann im Selbstgespräch ganz in Janis aufgeht, fehlen ihr mitunter die Farben, um die Leidenschaften mit all“ ihren Schattierungen nuanciert auszumalen. Sie ist keine Schauspielerin, auch wenn sie durchaus glaubwürdig versucht, diese Figur todesnah zu zeichnen. Doch man kann keinen Abend im Dauer-Koch-Gang halten, mitunter muss auch lauwarm gespült werden, um die Hitze wieder zu schüren. Sonst bleibt die Dramatik auf der Strecke.

Dieser Abend steht ganz im Zeichen der Musik, einer Gänsehaut-Musik, die die Besucher am Ende von ihren Sitzen reißt. Sie hätte sich auch vor 20 Zuschauern „den Arsch aufgerissen“, sagt die barfüßige kleine Frau mit der Riesen-Energie. Um am Ende zu verkünden: „Ich komme wieder.“ Am 2. Juni wird es mit Sicherheit wieder heiß im Nikolaisaal. Und vielleicht auch voll. Keine Bange: Dieses Revival ist Janis live!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })